Roter Drache
verträumten Ausdruck an. »Mann, ich kann dir sagen, dabei habe ich ein paarmal diese Mrs. Leeds gesehen - eigentlich gehört es sich ja nicht, sowas zu sagen, nachdem sie auf so schreckliche Weise ums Leben gekommen ist -, aber ich hab’ sie ein paarmal im Garten gesehen, wie sie sich dort im Bikini gesonnt hat. Ich kann dir sagen, die hatte vielleicht eine schnuckelige Figur. Wirklich jammerschade um diese Leute. Sie war wirklich eine verdammt nette Frau.«
»Haben sie in der Sache eigentlich schon jemanden gefaßt?«
»Nee.«
»Warum mußte der sich auch ausgerechnet die Leeds aussuchen, wo doch der alte Parsons gleich nebenan gewohnt hätte«, sinnierte Lewis mit einem verschmitzten Grinsen.
»Eines kann ich dir jedenfalls sagen: Ich lasse meine bessere Hälfte nicht mehr im Badeanzug im Garten rumliegen. Sie meint natürlich: ›So ein Blödsinn, Billy; wer soll mich denn hier schon sehen?‹ Aber ich meine, wer weiß denn schon, von wo plötzlich irgend so ein Irrer über die Hecke gesprungen kommt, um weiß Gott was mit ihr anzustellen. Haben die von der Polizei eigentlich schon mit dir darüber gesprochen? Haben sie dich auch gefragt, ob du irgendwas Verdächtiges bemerkt hast?«
»Ja. Soviel ich weiß, haben sie sich jeden vorgenommen, der dort draußen eine Tour hat. Postboten, Müllmänner und so weiter. Ich hatte allerdings bis heute die ganze letzte Woche die Laurelwood-Tour auf der anderen Seite des Betty Jane Drive.« Lewis puhlte am Etikett seiner Bierflasche. »Parsons hat dich also letzte Woche angerufen, sagst du?«
»Ja.«
»Dann muß er tatsächlich jemanden seinen Zähler ablesen gesehen haben. Wenn er sich das Ganze nur aus den Fingern gesogen hätte, um mir heute einen kleinen Schreck einzujagen, hätte er deshalb sicher nicht extra angerufen. Ihr habt, wie du selbst sagst, niemanden losgeschickt, und ich kann es nicht gewesen sein.«
»Vielleicht war es ja auch jemand von der Telefongesellschaft.« »Vielleicht. «
»Andererseits haben wir dort draußen keine gemeinsamen Leitungsmasten.«
»Glaubst du, ich sollte vielleicht mal bei der Polizei anrufen?«
»Könnte zumindest nicht schaden«, meinte Meeks.
»Ganz sicher nicht, und Parsons wird in Zukunft vielleicht auch etwas leiser treten, wenn ihm der starke Arm des Gesetzes einen kleinen Besuch abstattet. Selbst wenn sie nichts gegen ihn vorliegen haben, wird er schon vor Angst in die Hosen machen, bloß wenn er sie bei sich vorfahren sieht.«
5. K APITEL
A m späten Nachmittag fuhr Graham wieder zum Haus der Leeds’ hinaus. Er betrat es durch die Eingangstür und versuchte, nicht auf die Ruine zu achten, die der Mörder hinterlassen hatte. Bisher hatte er nur Aktenunterlagen, den Schauplatz eines Mordes und totes Fleisch zu Gesicht bekommen - alles Requisiten eines grausigen Nachspiels. Er wußte eine Menge darüber, wie sie gestorben waren. Wie sie gelebt hatten, sollte ihn heute beschäftigen.
Eine gründliche Bestandsaufnahme also. In der Garage standen ein gutes Wasserskiboot, oft benutzt und bestens gepflegt, und ein Kombi. In einer Ecke lehnten ein Satz Golfschläger und ein Geländemotorrad. Der Inhalt des umfangreichen Werkzeugkastens an der Wand war kaum benutzt. Erwachsenenspielzeug. Graham nahm ein Siebenereisen aus dem Golfsack und holte zu einem etwas ungelenken Schwung damit aus. Der Sack puffte ihm einen Anflug von Ledergeruch entgegen, als er ihn gegen die Wand zurücklehnte. Charles Leeds’ Sachen.
Weiter auf Charles Leeds’ Spuren durchstreifte Graham nun das Haus. Seine Jagdstiche hingen im Herrenzimmer. Seine Reihe der Großen Bücher fein säuberlich aufgereiht. SewaneeJahresschriften. H. Alan Smith und Perelman und Max Shulman im Bücherregal. Vonnegut und Evelyn Waugh. C. S. Forresters Beat to Quarters lag aufgeschlagen auf einem Tisch.
Im Wandschrank eine gute Tontaubenbüchse, eine NikonKamera, eine Bolex Superacht-Filmkamera und ein Projektor.
Graham, dessen gesamter Besitz mehr oder weniger aus einer einfachen Angelausrüstung, einem klapprigen Volkswagen aus dritter Hand und zwei Kassetten Montrachet bestand, verspürte einen Anflug von Feindseligkeit gegen diese Erwachsenenspielsachen, wobei ihm nicht recht klar war weshalb. Wer war Leeds gewesen? Ein erfolgreicher Steuerberater, ein ehemaliges Mitglied des Footballteams von Sewanee, ein sehniger, sportlicher Typ, der gern viel lachte, und ein Mann, der sich selbst mit durchgeschnittener Kehle noch verzweifelt zu wehren versucht hatte.
Aus einer
Weitere Kostenlose Bücher