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Roter Drache

Roter Drache

Titel: Roter Drache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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aber doch eine Spur. Finden Sie nicht auch? War ja wirklich nicht gerade einfach, dem armen alten Teufel die Würmer aus der Nase zu ziehen, aber jetzt wollen wir doch mal sehen, was sich damit anfangen läßt.«
    »Falls dieser dubiose Zählerableser in der Durchfahrt der Gesuchte ist, dann wären wir auf jeden Fall ein gutes Stück weitergekommen«, erklärte Graham.
    »Und ob. Das heißt nämlich, daß dieser Kerl nicht nur irgendwo aus dem Bus steigt und einfach aufs Geratewohl losmarschiert. Er geht streng nach Plan vor. Er ist über Nacht in der Stadt geblieben. Er weiß also schon ein paar Tage zuvor, wo er zuschlagen wird. Er geht nach einem bestimmten Schema vor. Erst die Lage auskundschaften, das Haustier aus dem Weg räumen und dann die Familie umbringen. Das nenne ich mir ein sauberes Schema.« Springfield hielt kurz inne. »Das dürfte doch wohl in Ihr Gebiet fallen, oder nicht?«
    »Allerdings. Wenn so was in irgend jemandes Gebiet fällt, dann wahrscheinlich in meines.«
»Ich weiß, daß Sie schon mehrfach mit so etwas zu tun hatten. Sie haben neulich ziemlich ausweichend reagiert, als ich Sie auf Lecter angesprochen habe, aber ich fürchte, dieses Thema nun doch wieder anschneiden zu müssen.«
»Wenn Sie meinen.«
»Er hat doch neun Menschen umgebracht - insgesamt?«
»Neun, von denen wir wissen. Zwei weitere haben überlebt.«
»Was ist aus ihnen geworden?«
»Einer hängt in einem Krankenhaus in Baltimore an einer künstlichen Lunge, und der andere befindet sich in einer Nervenheilanstalt in Denver.«
»Was hat ihn dazu veranlaßt? Worin bestand seine Verrücktheit?«
Graham sah durch das Seitenfenster auf die Passanten auf dem Gehsteig hinaus. Seine Stimme klang mechanisch, als diktierte er einen Brief.
»Er hat es getan, weil es ihm Spaß gemacht hat beziehungsweise immer noch Spaß macht. Dr. Lecter ist nicht auf eine gängige Art verrückt, wie man sich das gemeinhin vorstellt. Er hat diese entsetzlichen Dinge getan, weil sie ihm Spaß gemacht haben. Aber wenn er will, kann er sich wie ein völlig normaler Mensch verhalten.«
»Wie haben die Psychologen seinen Defekt bezeichnet - was hat mit ihm nicht gestimmt?«
»Sie sagen, er wäre ein Soziopath, weil sie nicht wissen, wie sie ihn sonst nennen sollten. Er weist natürlich auch einige Verhaltensmuster auf, wegen der man ihn als Soziopathen einstufen kann. Zum Beispiel kennt er keinerlei Reue oder Schuldgefühle. Und dann trifft auf ihn das erste und wichtigste Anzeichen für eine solche Störung zu: Er hat als Kind ein ausgeprägt sadistisches Verhalten Tieren gegenüber an den Tag gelegt.« Springfield brummte etwas Unverständliches.
»Aber sonst läßt sich keines der anderen Anzeichen an ihm feststellen«, fuhr Graham fort. »Er führte zum Beispiel einen völlig normalen Lebenswandel, kam nie mit dem Gesetz in Konflikt. Er war nicht wie die meisten Soziopathen in kleinen Dingen unnachgiebig und ausbeuterisch. Er ist auch nicht unsensibel. Sie wissen einfach nicht, wie sie ihn einordnen sollen. Seine Elektroenzephalogramme weisen ein paar eigenartige Kurven auf, aus denen bisher allerdings noch niemand so recht klug geworden ist.«
»Als was würden Sie ihn denn bezeichnen?« fragte Springfield.
Graham zögerte.
»Ich meine, nur für sich selbst - was ist er für Sie?«
»Er ist ein Monster. Für mich ist dieser Mensch wie eines dieser erbarmungswürdigen Wesen, wie sie zuweilen in Kliniken das Licht der Welt erblicken. Sie ernähren es und halten es warm, aber sie schließen es nicht an die Geräte an, so daß es schließlich stirbt. Genauso ein Wesen ist Lecter, wenn er äußerlich auch völlig normal aussieht und ihm kein Mensch seine schreckliche Veranlagung ansehen könnte.«
»Ich habe ein paar Freunde bei der Mordkommission in Baltimore, die ich gefragt habe, wie Sie Lecter auf die Schliche gekommen sind. Sie haben gesagt, das wüßten sie nicht. Wie haben Sie das gemacht? Was war das erste Anzeichen, die erste heiße Spur?«
»Eigentlich war es ein Zufall«, begann Graham. »Das sechste Opfer wurde in seiner Werkstatt getötet. Er bewahrte dort neben seinem Werkzeug auch seine Jagdausrüstung auf. Er war an die Werkzeugwand gefesselt, und er war wirklich übel zugerichtet, von Schnitt- und Stichwunden übersät; und sogar ein paar Pfeile hatte er auf ihn abgeschossen. Die Verletzungen erinnerten mich an irgend etwas, aber mir fiel nicht ein, woran.«
»Und Sie mußten also die nächsten Opfer abwarten?«
»Ja. Lecter war ganz

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