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Roter Drache

Roter Drache

Titel: Roter Drache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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schön in Fahrt - die nächsten drei hat er binnen neun Tagen erledigt. Dieses sechste Opfer hatte nun allerdings zwei alte Narben am Oberschenkel. Eine Nachfrage im örtlichen Krankenhaus ergab, daß er vor fünf Jahren bei der Jagd mit Pfeil und Bogen von einem in einem Baum angebrachten Ausguck gefallen war und sich dabei einen Pfeil durch den Oberschenkel gerammt hatte.
In den Klinikunterlagen war als behandelnder Arzt ein fest in der Klinik angestellter Chirurg angegeben, doch hatte Lecter den Verletzten als erster behandelt, da er damals gerade zufällig in der Notaufnahme Dienst hatte. Sein Name stand auf dem Einlieferungsschein. Der Unfall lag zwar schon geraume Zeit zurück, aber ich dachte, daß Lecter sich vielleicht doch an etwas Ungewöhnliches an der Pfeilwunde erinnern könne. Da wir damals auch den unbedeutendsten Anhaltspunkten nachgingen, suchte ich ihn in seiner Praxis auf.
Er praktizierte inzwischen als Psychiater. Seine Praxis konnte sich sehen lassen - eingerichtet mit teuren Antiquitäten. Er erklärte mir, daß er sich nur noch ganz schwach an diese Pfeilverletzung erinnern könnte und daß einer seiner Jagdgefährten den Verletzten eingeliefert hätte; aber das war auch schon alles. Trotzdem war mir irgend etwas unangenehm aufgestoßen. Ich dachte damals, es wäre etwas in seiner Praxis gewesen oder etwas, das Lecter gesagt hatte. Crawford und ich machten uns also daran, Lecter etwas auf den Zahn zu fühlen. Wie sich herausstellte, war er nicht vorbestraft. Ich hätte mich gern eine Weile ungestört in seiner Praxis umgesehen, aber wir hatten nichts vorliegen, um einen Hausdurchsuchungsbefehl erwirken zu können. Also habe ich ihm neuerlich einen Besuch abgestattet. Es war an einem Sonntag; er hielt auch sonntags Sprechstunde. Bis auf ein paar Patienten in seinem Wartezimmer war das Gebäude völlig menschenleer. Er ließ mich sofort vor, worauf wir uns eine Weile unterhielten. Er erklärte sich in aller Zuvorkommenheit bereit, mich in meinen Bemühungen zu unterstützen, und dann fiel mein Blick auf ein paar sehr alte medizinische Bücher auf einem Regal über seinem Kopf. Und ich wußte, daß er es war.
Als ich dann wieder ihn ansah, hat sich vielleicht mein Gesichtsausdruck verändert - ich weiß es nicht. Ich wußte es. Und er wußte, daß ich es wußte. Trotzdem hatte ich noch nicht die geringste Ahnung, wie ich zu dieser Überzeugung gelangt war. Deshalb war ich auch noch unsicher. Ich wollte noch darüber nachdenken. Also brachte ich irgendeine fadenscheinige Entschuldigung vor und verließ die Praxis. Draußen auf dem Flur war ein öffentlicher Fernsprecher. Ich wollte ihn nicht unnötig in Alarmbereitschaft versetzen, bevor keine Unterstützung angerückt war. Ich sprach gerade mit der Zentrale, als er auf Socken aus einem Lieferanteneingang hinter mir geschlichen kam. Ich habe ihn nicht kommen gehört. Nur seinen Atem habe ich plötzlich gespürt, und dann... na ja, und den Rest wissen Sie ja vermutlich selbst.«
»Aber woher haben Sie es dann plötzlich gewußt?«
»Darauf bin ich, glaube ich, erst eine Woche später oder so im Krankenhaus gekommen. Es war der Wundenmann - eine Illustration, die in einer Menge alter medizinischer Lehrbücher abgedruckt war, wie sie auch Lecter in seinem Regal stehen hatte. Darauf sind an einer einzigen Figur alle möglichen Kriegsverletzungen abgebildet. Ich kannte die Abbildung von einem Pathologieseminar an der Universität. Und die Stellung und die Verletzungen des sechsten Opfers Wiesen eine auffallende Ähnlichkeit mit diesem Wundenmann auf.«
»Und das war alles?«
»Ja. Es war reiner Zufall, daß ich diese Abbildung kannte. Im Grunde genommen war es also nur Glück.«
»Das nenne ich eine saubere Art Glück.«
»Wenn Sie mir nicht glauben, warum zum Teufel haben Sie mich dann danach gefragt?«
»Was haben Sie eben gesagt?«
»Ist ja gut, ich habe es ja auch nicht so gemeint. Jedenfalls war es so.«
»Gut«, entgegnete Springfield. »Nichts für ungut und vielen Dank, daß Sie mir’s gesagt haben. Über diese Dinge möchte ich nämlich lieber Bescheid wissen.«
    Parsons’ Beschreibung des Mannes in der Durchfahrt und die Informationen über die Katze und den Hund waren mögliche Anhaltspunkte auf die Vorgehensweise des Mörders. Sie legten die Vermutung nahe, daß der Täter erst als Zählerableser verkleidet das Terrain sondierte und offensichtlich das Bedürfnis verspürte, erst den Haustieren der Opfer etwas zuleide zu tun, bevor er sich

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