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Roter Drache

Roter Drache

Titel: Roter Drache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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Besuch.«
Dr. Chilton war sicher schon mit einigen Fällen von Feindseligkeit konfrontiert worden. Und auch jetzt konnte er seiner
Sammlung ein weiteres Exemplar hinzufügen.
Graham stand auf. »Vielen Dank, Doktor. Wenn ich jetzt vielleicht Lecter sehen könnte.«
    Die Stahltür des Hochsicherheitstrakts schloß sich hinter Graham. Er hörte den Riegel einschnappen. Graham wußte, daß Lecter fast den ganzen Vormittag schlief. Er sah den Korridor hinunter. Von seinem Standort aus konnte er nicht in Lecters Zelle sehen, aber er konnte erkennen, daß das Licht hinter den Gitterstäben gedämpft war.
    Graham wollte Dr. Lecter schlafen sehen. Er versuchte Zeit zu gewinnen, um sich innerlich auf diese Gegenüberstellung vorzubereiten. Falls er etwas von Lecters Wahnsinn in seinem Denken bemerken sollte, wollte er es möglichst rasch unter Kontrolle bringen.
    Um seine Schritte zu überdecken, folgte er einem Pfleger, der einen Wagen mit frischer Bettwäsche den Korridor hinunterschob. Sich Dr. Lecter unbemerkt zu nähern war kein einfaches Unterfangen.
    Auf halbem Weg blieb Graham stehen. Gitterstäbe bildeten die Vorderseite der Zelle. Hinter dem Gitter, außer Reichweite, war über die gesamte Wandfläche vom Boden bis zur Decke ein kräftiges Nylonnetz gespannt. Graham konnte einen Tisch und einen Stuhl erkennen, die fest am Boden verschraubt waren. Der Tisch war mit Taschenbüchern und Korrespondenz übersät. Er trat ans Gitter, legte seine Hände um zwei Stäbe, um sie jedoch unverzüglich wieder zurückzuziehen.
    Dr. Hannibal Lecter lag schlafend auf seiner Pritsche; den Kopf hatte er mit einem Kissen gegen die Wand gestützt. Aufgeschlagen auf seiner Brust lag Alexandre Dumas’ Le Grand Dictionnaire de Cuisine.
    Graham hatte vielleicht fünf Sekunden durch die Gitterstäbe auf Lecter gestarrt, als dieser die Augen aufschlug und sagte: »Genau dasselbe schreckliche Rasierwasser, nach dem Sie auch vor Gericht immer gerochen haben.«
    »Ich bekomme es nun mal jedes Weihnachten geschenkt.«
    Dr. Lecter hatte rotbraune Augen, und sie reflektierten das Licht in winzigen rötlichen Punkten. Graham spürte, wie sich jedes Härchen in seinem Nacken einzeln aufstellte. Er legte seine Hand an seinen Hals.
    »Ach ja, Weihnachten«, erklärte Lecter nachdenklich. »Haben
    Sie meine Karte bekommen?«
»Ja. Vielen Dank.«
Dr. Lecters Weihnachtsgrüße waren vom FBI-Labor in Washington an Graham weitergeleitet worden. Er hatte sie nach draußen getragen, um sie hinter dem Haus zu verbrennen. Dann hatte er sich die Hände gewaschen, bevor er Molly wieder anfaßte.
    Lecter stand auf und trat an seinen Tisch. Er war ein zierlicher, geschmeidiger Mann. Sehr gepflegt. »Warum nehmen Sie nicht Platz, Will? Wenn ich mich nicht täusche, gibt es in einem Schrank am Ende des Gangs ein paar Klappstühle. Zumindest klingt es so, als kämen sie von dort.«
    »Der Wärter wird mir einen bringen.«
    Lecter blieb stehen, bis Graham sich draußen auf dem Flur gesetzt hatte. »Und wie geht es Officer Stewart?« erkundigte er sich dann.
    »Soviel ich weiß, gut.« Officer Stewart hatte seinen Dienst bei der Polizei quittiert, nachdem er Dr. Lecters Keller gesehen hatte. Er leitete inzwischen ein Motel. Doch sagte Graham Lecter davon nichts. Er konnte sich nicht vorstellen, daß Stewart sonderlich darauf erpicht sein würde, von Lecter Post zu bekommen.
    »Zu schade, daß er seine emotionalen Probleme nicht in den Griff bekommen konnte. Ich fand, er war ein sehr vielversprechender junger Polizeibeamter. Haben Sie eigentlich manchmal Probleme, Will?«
    »Nein.«
»Natürlich nicht.«
Graham hatte das Gefühl, als durchdrängen Lecters Blicke
    seinen Kopf bis zur Schädelbasis. Sein Interesse fühlte sich an wie eine Fliege, die dort herumkrabbelte.
    »Freut mich, Sie mal wieder zu sehen. Wie lange ist das nun schon her - drei Jahre? Alle meine Besucher zeigen lediglich ein berufliches Interesse an meiner Person. Zweitklassige klinische Psychiater und aufstrebende Möchtegern-Doktoren der Psychologie von irgendwelchen lausigen Provinzuniversitäten. Bleistiftlecker, die sich mit lächerlichen Artikeln in meist ebenso lächerlichen Journalen ihre Anstellung erhalten wollen.«
    »Dr. Bloom hat mir Ihren Artikel über Suchtverhalten in der
    Zeitschrift für klinische Psychologie zugeschickt.«
»Und?«
»Höchst interessant, selbst für einen Laien.«
»Einen Laien... Laien - Laien. Bemerkenswerter Begriff.«
    Lecter schien mit einem Mal

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