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Roter Drache

Roter Drache

Titel: Roter Drache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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entfernte Graham sich.
»Wissen Sie, wie Sie mich gefaßt haben?«
Graham befand sich inzwischen außerhalb Lecters Blickfeld; er ging rascher auf die Stahltür zu. »Der Grund, weshalb Sie mich gefaßt haben, ist ganz einfach der, daß wir uns sehr ähnlich sind«, war das letzte, was Graham hörte, bevor sich die schwere Tür hinter ihm schloß.
Er war vollkommen gefühllos, wenn man davon absah, daß er sich davor fürchtete, daß seine Taubheit von ihm wich. Während er mit gesenktem Kopf dahinschritt und mit niemandem ein Wort sprach, konnte er das Pochen seines Bluts wie das hohle Flattern von Flügeln hören. Die Entfernung nach draußen erschien ihm ungewöhnlich kurz. Dies war nur ein normales Gebäude; zwischen Lecter und der Außenwelt lagen lediglich fünf Türen. Er hatte das absurde Gefühl, als wäre Lecter mit ihm nach draußen gekommen. Vor dem Eingang blieb er stehen und sah sich um, als müßte er sich vergewissern, daß er allein war.
Von einem auf der anderen Straßenseite geparkten Wagen, sein Teleobjektiv auf dem heruntergekurbelten Seitenfenster aufgestützt, hatte Freddy Lounds Graham ausschnittfüllend im Sucher, als dieser in der Tür stand, über die in steinernen Lettern folgende Inschrift gemeißelt war: › CHESAPEAKE STATE HOSPITAL
    FÜR GEISTESGESTÖRTE STRAFTÄTER ‹:
    Der National Tattler veröffentlichte eine Ausschnittvergrößerung der Aufnahme, auf der nur Grahams Gesicht und die zwei letzten Worte der steinernen Inschrift zu sehen waren.

8. K APITEL

    N achdem Graham ihn verlassen hatte, lag Dr. Hannibal Lecter im gedämpften Licht seiner Zellenbeleuchtung auf seiner Pritsche. Mehrere Stunden waren verstrichen.
    Eine Weile beschäftigte er sich mit Wahrnehmungen seines Tastsinns - die Oberflächenstruktur seines Kopfkissenbezugs gegen seine im Nacken verschränkten Hände, die glatte Haut der Innenseite seiner Arme an seinen Wangen.
    Dann wandte er seine Aufmerksamkeit den verschiedenen Gerüchen zu. Einige davon waren real, andere nicht. Sie hatten Clorox in die Abflüsse geschüttet; Sperma. Am Ende des Korridors brachten die Wärter gerade mit Chili gewürztes Essen; durchgeschwitzter Khaki-Stoff. Graham wollte ihm also seine Privatnummer nicht geben; der bittere, grüne Geruch von frisch geschnittenen Kornraden.
    Lecter setzte sich auf. Graham hätte sich durchaus etwas besser benehmen können. Seinen Gedanken haftete der warme Messinggeruch einer elektrischen Uhr an.
    Lecter blinzelte mehrmals; seine Augenbrauen hoben sich. Er drehte am Dimmer das Licht heller und schrieb eine Nachricht an Chilton, in der er um ein Telefon bat, um seinen Anwalt anrufen zu können.
Lecter war laut Gesetz dazu berechtigt, sich ungestört mit seinem Anwalt zu besprechen - ein Recht, von dem er bisher kaum Gebrauch gemacht hatte. Und da Chilton ihm unter keinen Umständen gestatten würde, zu einem Telefon zu gehen, würde man das Telefon zu ihm bringen.
Das übernahmen zwei Wärter, die dafür ein Verlängerungskabel von der Anschlußbuchse an ihrem Schreibtisch ausrollen mußten. Einer von den beiden hatte die Schlüssel. Der andere hielt eine Gaspistole in der Hand.
»Treten Sie nach hinten, Dr. Lecter, mit dem Gesicht zur Wand. Sollten Sie sich umdrehen oder dem Gitter zu nähern versuchen, bevor Sie das Türschloß einschnappen gehört haben, bekommen Sie eine Ladung Gas ins Gesicht. Verstanden?«
»Allerdings«, entgegnete Lecter. »Besten Dank, daß Sie mir das Telefon gebracht haben.«
Er mußte seine Hand zum Wählen durch das Nylonnetz strekken. Die Auskunft gab ihm die Nummern des psychiatrischen Instituts der University of Chicago und von Dr. Blooms Büro. Er rief die Zentrale des psychiatrischen Instituts an.
»Könnte ich bitte Dr. Alan Bloom sprechen.«
»Ich bin nicht sicher, ob er heute in seinem Büro ist, aber ich verbinde Sie.«
»Einen Moment noch bitte. Eigentlich sollte ich den Namen seiner Sekretärin wissen, und es ist mir schrecklich peinlich, ihr zu sagen, daß ich ihn vergessen habe.«
»Linda King. Einen Augenblick bitte.«
»Besten Dank.«
Das Telefon läutete achtmal an, bevor jemand den Hörer abnahm.
»Hier Linda Kings Nummer.«
»Hallo, Linda, sind Sie’s?«
»Linda arbeitet samstags nicht.«
Damit hatte Dr. Lecter gerechnet. »Vielleicht könnten ja auch Sie mir weiterhelfen. Mein Name ist Bob Greer vom Verlag Blaine und Edwards. Dr. Bloom hat mich gebeten, ein Exemplar des Overholser-Buchs Der Psychiater und das Recht an Will Graham zu schicken; Linda

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