Roter Drache
ganz deutlich im Blickfeld. Von dieser hohen Warte wirkte das Haus verändert, da nun das Dach mit seiner dunkleren Farbe verstärkt zur Geltung kam. Von hier konnte man den Garten und den schmalen Streifen hinter dem Schuppen ungehindert einsehen. Mit einem guten Feldstecher hätte man aus dieser Entfernung problemlos den Gesichtsausdruck einer Person studieren können, die sich im Garten aufhielt.
In der Ferne konnte Graham das leise, stete Rauschen des Verkehrs hören; irgendwo bellte ein Hund. Und dann setzte das nervtötende Zirpen mehrerer Zikaden ein, das jedes andere Geräusch übertönte. Direkt über Graham stand ein kräftiger Ast im rechten Winkel zum Jacobi-Haus vom Stamm ab. Er kletterte noch ein Stück höher, bis er ihn aus nächster Nähe in Augenschein nehmen konnte.
Unmittelbar an seiner Wange war eine Limonadendose zwischen Ast und Stamm geklemmt.
»Großartig« flüsterte Graham der Rinde zu. »Großer Gott, ja. So ist es brav, mein Döschen.«
Natürlich konnte die Dose auch ein Kind an dieser Stelle zurückgelassen haben.
Er kletterte, was angesichts der dünner werdenden Äste nicht mehr ganz ungefährlich war, so weit nach oben, bis er auf den kräftigen Ast hinabsehen konnte.
Auf der Oberseite des Astes war an einer Stelle die Rindeentfernt, so daß darunter ein etwa spielkartengroßes Stück frischen, grünen Holzes zum Vorschein kam. In der Mitte des Rechtecks war bis in das weiße Holz darunter dieses Zeichen geritzt:
Die Arbeit war sehr sorgfältig und offensichtlich mit einem extrem scharfen Messer ausgeführt worden - und mit Sicherheit nicht von einem Kind.
Sorgsam die verschiedenen Aufnahmestandpunkte auswählend, fotografierte Graham das Zeichen mehrmals.
Von dem Ast war die Sicht auf das Haus hervorragend, wobei sie von Menschenhand noch zusätzlich verbessert worden war. Über Grahams Kopf stand das kurze Stück eines gekappten Zweigs ab, der offensichtlich die Sicht behindert hatte. Die Fasern waren zusammengepreßt und das Ende der Schnittstelle leicht abgeflacht.
Graham hielt nach dem abgetrennten Zweig Ausschau. Wenn er auf dem Boden gelegen hätte, hätte er ihn bemerkt. Da, er hing, braun verwelktes Blattwerk inmitten saftig grünen Laubs, ein Stück unter ihm von einem Ast.
Im Labor würde sie beide Seiten des Schnitts benötigen, um den Winkel der beiden Schnittflächen zu berechnen. Das bedeutete, daß er noch einmal mit einer Säge zurückkommen würde müssen. Er machte auch mehrere Fotos von dem abgekappten Zweig. Währenddessen murmelte er vor sich hin.
Nachdem du also die Katze umgebracht und in den Garten geworfen hast, Freundchen, bist du hier hochgeklettert und hast gewartet. Du hast die Kinder beobachtet und hast dir währenddessen die Zeit mit Tagträumereien und Schnitzereien vertrieben. Bei Einbruch der Dunkelheit hast du dann ihre Silhouetten die hell erleuchteten Fenster passieren sehen, bis sie schließlich die Rolläden runterließen und die Lichter eines nach dem anderen ausgingen. Und nach einer Weile bist du vom Baum geklettert und in das Haus eingedrungen. So war es doch, oder nicht? Mit einer Taschenlampe zwischen den Zähnen und bei Vollmond war es doch sicher kein allzu großes Problem, den Baum hinunterzuklettern.
Dagegen hatte Graham genau damit einige Mühe. Er steckte einen Zweig in die Öffnung der Limonadendose, hob sie damit vorsichtig aus der Astgabel und kletterte, den Zweig zwischen den Zähnen, wenn er beide Hände benötigte, nach unten.
Wieder zurück auf dem Parkplatz der Wohnsiedlung, stellte Graham fest, daß jemand mit dem Finger ›Levon ist doof‹ in die Staubschicht an der Seite seines Wagens geschrieben hatte. Die Höhe, in der die Schrift angebracht war, deutete daraufhin, daß selbst die Schreibkenntnisse der jüngsten Bewohner der Siedlung nichts zu wünschen übrig ließen.
Er fragte sich, ob sich einer von ihnen wohl auch auf dem Wagen des Mörders verewigt hatte.
Graham saß erst noch ein paar Minuten im Wagen und sah zu den Fensterreihen hoch. In den Blöcken waren mindestens hundert Wohnungen untergebracht. Es war nicht ausgeschlossen, daß sich jemand an einen fremden Weißen erinnerte, der sich spät nachts auf dem Parkplatz herumgetrieben hatte. Obwohl seitdem mehr als ein Monat verstrichen war, fand Graham die Sache einen Versuch wert. Um jeden Anwohner, und dies vor allem in möglichst kurzer Zeit, befragen zu können, war er auf die Unterstützung der Polizei von Birmingham angewiesen.
Er kämpfte gegen die
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