Roter Drache
daß eine kühne ›Neues-Heilmittel-gegenKrebs‹- oder ›Krebs-Wunderdroge‹-Schlagzeile, die Supermarkt-Verkaufsziffern einer jeden Tattler-Ausgabe um 22,3 Prozent steigen ließen.
Eine sechsprozentige Einbuße war in diesem Zusammenhang zu verzeichnen, wenn der zu der Schlagzeile gehörende nichtssagende Bericht ebenfalls auf der ersten Seite abgedruckt wurde, so daß ihn der Kunde bereits überfliegen konnte, während er mit seinem Einkaufswagen an der Kasse des Supermarkts wartete.
Marktforscher hatten entdeckt, daß es sich als wesentlich verkaufsförderlicher erwies, die große Schlagzeile - möglichst in Farbe - auf die Titelseite zu setzen, den dazugehörigen Bericht aber irgendwo im Innern des Blattes abzudrucken, wo er sich nicht so leicht lesen ließ, während man mit seinem Einkaufswagen an der Kasse auf seine Abfertigung wartete. Der Standardartikel zu diesem Thema begann mit fünf Absätzen in optimistischem Zehn-Punkt-Schrifttyp, um über ein paar Zeilen in Acht-Punkt schließlich auf Sechs-Punkt zusammenzuschrumpfen, bevor darauf hingewiesen wurde, daß das ›Wundermittel‹ noch nicht erhältlich war oder erst im Tierversuch getestet wurde.
Freddy verdiente seinen Lebensunterhalt nun damit, solche Artikel zu liefern und damit die Auflage des Tattler in die Höhe zu treiben.
Dazu kam noch, daß die Hersteller aller möglichen Wundermedaillons und Heiltücher hervorragend zahlten, um ihre Anzeigen in unmittelbarer Nähe der wöchentlichen Krebs-Sensationsmeldungen unterbringen zu können.
Zahlreiche Leser schrieben mit der Bitte um weitere Informationen an die Redaktion. Auch sie entpuppten sich als eine zusätzliche Einnahmequelle, indem man ihre Adressen an einen Radio-›Evangelisten‹ verkaufte, einen himmelschreienden Ganoven, der diese Leute dann mit der Bitte um Spenden anschrieb, und dies in Umschlägen mit dem Aufdruck ›Jemand, den Sie lieben, wird sterben, wenn Sie nicht.. .‹
Freddy Lounds war gut für den Tattler, und umgekehrt war der Tattler gut zu ihm. Nachdem er nun bereits seit elf Jahren bei der Zeitung war, verdiente er immerhin jährlich zweiundsiebzigtausend Dollar. Er schrieb mehr oder weniger über Themen, die ihn gerade interessierten, und machte sich mit dem Geld ein schönes Leben. Er lebte so gut, wie er eben gut zu leben verstand.
Wie die Dinge standen, glaubte er, seine Vorschußforderungen für die Taschenbuchausgabe durchaus noch etwas in die Höhe schrauben zu können, und auch die Filmindustrie hatte bereits ein gewisses Interesse angemeldet. Er hatte gehört, daß Hollywood für fiese, aufdringliche Kerle mit Geld genau der richtige Ort war.
Freddy war bester Stimmung. Er fuhr ziemlich rasant in die Tiefgarage im Keller des Hauses, in dem seine Wohnung lag, und steuerte seinen Lincoln mit beherztem Reifenquietschen auf seine Stellfläche. Hier war sein Name in dreißig Zentimeter hohen Buchstaben an die Wand gepinselt, um seinen Parkplatz zu kennzeichnen. Mr. Frederick Lounds.
Wendy war bereits hier; ihr Datsun stand gleich nebendran . Sehr gut. Er hoffte, sie mit nach Washington nehmen zu können, damit den Plattfüßlern dort mal ordentlich die Augen rausfielen. Er pfiff vergnügt vor sich hin, als er im Lift nach oben fuhr.
Wendy packte für ihn. Sie hatte ein Leben lang aus Koffern gelebt und verstand sich auf dieses Geschäft. In ihren Jeans und dem Flanellhemd, das braune Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, hätte sie bis auf ihre Blässe und ihre Figur irgendein Mädchen vom Land sein können. Wendys Figur war mehr oder weniger eine Karikatur des Inbegriffs aller pubertären Fantasien.
Sie sah Lounds aus Augen an, in denen sich schon seit Jahren keine Verwunderung mehr gespiegelt hatte. Ihr entging keineswegs, daß er leicht zitterte.
»Du arbeitest zu viel, Roscoe.« Sie nannte ihn Roscoe, und aus irgendeinem unerfindlichen Grund mochte er das sogar. »Welche Maschine nimmst du denn - die um sechs?« Sie brachte ihm etwas zu trinken und nahm ihren geschuppten Overall sowie den Perückenkoffer vom Bett, damit er sich niederlegen konnte. »Ich kann dich zum Flughafen bringen. Vor sechs muß ich nicht im Club sein.« ›Wendy City‹, war ihre eigene Obenohne-Bar, und sie brauchte nun nicht mehr selbst zu tanzen. Den Pachtvertrag hatte Lounds als Partner unterzeichnet.
»Du klangst ja wie Moroco Mole, als du mich vorhin angerufen hast«, sagte sie.
»Wie wer?«
»Du weißt schon, aus dieser Fernsehsendung am Samstagmorgen; er ist
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