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Roter Drache

Roter Drache

Titel: Roter Drache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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bestünde eine Möglichkeit zu begreifen, und damit könnten gleichzeitig auch meine Leser begreifen, was Sie mit Ihren Taten bezwecken.«
»Fühlen Sie sich privilegiert?«
»Natürlich ist das ein Privileg. Aber, von Mensch zu Mensch, muß ich Ihnen gestehen, daß ich schreckliche Angst habe. Und es ist schwer, sich zu konzentrieren, wenn man Angst hat. Falls Sie tatsächlich eine großartige Idee zu verwirklichen beabsichtigen sollten, müßten Sie mich keineswegs so einschüchtern, um mich zu beeindrucken.«
»Von Mensch zu Mensch. Von Mensch zu Mensch. Sie verwenden diese Redewendung, um darauf hinzuweisen, daß Sie es ehrlich meinen, Mr. Lounds. Das weiß ich sehr wohl zu schätzen. Aber Sie müssen sehen, ich bin kein Mensch. Ich habe als ein solcher begonnen, aber dank der Gnade Gottes und meiner eigenen Willenskraft bin ich anders und mehr als ein bloßer Mensch geworden. Sie sagen, Sie hätten Angst. Glauben Sie, daß Gott hier anwesend ist, Mr. Lounds?«
»Ich weiß nicht.«
»Beten Sie gerade zu Ihm?«
»Manchmal bete ich. Ich muß gestehen, daß ich eigentlich meistens bete, wenn ich Angst habe.«
»Und hilft Ihnen Gott?«
»Das weiß ich nicht. Darüber mache ich mir nachher keine Gedanken mehr. Aber das sollte ich eigentlich.«
»Das sollten Sie. M-hmmmmm. Es gibt so viele Dinge, über die Sie sich Gedanken machen sollten, um sie begreifen zu können. In einer Weile werde ich Ihnen helfen, besser zu verstehen. Doch würden Sie mich jetzt bitte entschuldigen?«
»Selbstverständlich. «
Schritte, die den Raum verließen. Das Schieben und Scheppern einer Küchenschublade. Lounds hatte bereits über zahlreiche in einer Küche begangene Morde berichtet, wo die nötigen Instrumente griffbereit lagen. Derlei Berichterstattung kann einen Küchen plötzlich mit ganz anderen Augen sehen lassen.
Das Geräusch von fließendem Wasser.
Lounds gewann den Eindruck, daß es Nacht sein mußte. Crawford und Graham erwarteten ihn. Bestimmt galt er mittlerweile als vermißt. Eine schwere, hohle Traurigkeit mischte sich vorübergehend unter seine Angst.
Dann plötzlich Atemgeräusche hinter ihm, ein aus dem Augenwinkel erhaschtes weißes Aufzucken. Eine Hand, kräftig und blaß. Sie hielt eine Tasse Tee mit Honig. Lounds trank durch einen Strohhalm.
»Ich würde eine Mordsstory bringen«, erklärte Lounds zwischen den einzelnen Schlucken. »Alles, was Sie zu sagen haben. Ich könnte Sie so beschreiben, wie Sie sich sehen. Aber wenn Sie nicht wollen, können wir die Beschreibung natürlich auch rauslassen. Ganz wie Sie wollen.«
»Psssst.« Ein einzelner Finger tippte auf Lounds’ Schädelplatte. Das Licht wurde heller. Der Rollstuhl begann sich zu drehen.
»Nein. Ich will Sie nicht sehen.«
»Sie müssen aber, Mr. Lounds. Sie sind schließlich Reporter. Sie sind doch hier, um für Ihre Leser zu schreiben. Wenn ich Sie herumgedreht habe, öffnen Sie die Augen und sehen mich an. Falls Sie Ihre Augen nicht freiwillig öffnen sollten, werde ich Ihnen die Lider an die Stirn heften müssen.«
Ein schmatzendes Geräusch von feuchten Lippen, ein kurzes Klicken, und der Rollstuhl wirbelte herum. Lounds, die Augen krampfhaft geschlossen, war nun dem Raum zugewandt. Fördernd tippte ein Finger auf seine Brust. Eine Berührung an den Augenlidern. Er schlug sie auf.
In Lounds’ Augen, der im Rollstuhl saß, erschien er riesenhaft, wie er in seinem Kimono vor ihm stand.
Der Nylonstrumpf, den er sich über den Kopf gestülpt hatte, gab sein Gesicht bis unter die Nase frei. Er kehrte Lounds den Rücken zu und schlüpfte aus dem Kimono. Seine mächtige Rückenmuskulatur bewegte sich leicht über der sorgfältig ausgeführten Tätowierung eines Schwanzes, der sich von seinem Gesäß sein rechtes Bein hinunterschlang.
Dann drehte der Drache ganz langsam seinen Kopf herum und sah Lounds über seine Schulter hinweg an. Als er lächelte, kam seine zerklüftete Mundhöhle zum Vorschein.
»Allmächtiger Herr Jesus«, stieß Lounds mit angehaltenem Atem hervor.
Lounds saß nun in der Mitte des Raums mit Blick auf die Leinwand. Dolarhyde hinter ihm war wieder in seinen Kimono geschlüpft und hatte sich sein Gebiß in den Mund gesteckt, um deutlicher sprechen zu können.
»Möchten Sie wissen, was ich bin?«
Lounds versuchte zu nicken, worauf die Rückenlehne an seiner Kopfhaut zerrte. »Mehr als alles andere. Ich hatte nur Angst, Sie zu fragen.«
»Dann sehen Sie.«
Das erste Dia zeigte Blakes Bild von dem großen Menschendrachen mit den

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