Roter Drache
ausgebreiteten Flügeln und dem peitschenden Schwanz, wie er über der mit der Sonne bekleideten Frau stand.
»Können Sie jetzt sehen?«
»Ja, ich sehe.«
Rasch zeigte ihm Dolarhyde nun die anderen Dias.
Klick. Mrs. Jacobi am Leben. »Sehen Sie?«
»Ja.«
Klick. Mrs. Leeds am Leben. »Sehen Sie?«
»Ja.«
Klick. Dolarhyde, der Drache, außer Rand und Band, die Muskeln gespannt mit der Schwanztätowierung darunter, über dem Bett der Jacobis. »Sehen Sie?«
»Ja.«
Klick. Mrs. Jacobi wartend. »Sehen Sie?«
»Ja.«
Klick. Mrs. Jacobi danach. »Sehen Sie?«
»Ja.«
Klick. Der Drache in Aktion. »Sehen Sie?«
»Ja.«
Klick. Mrs. Leeds wartend, ihr Mann tot neben ihr. »Sehen Sie?«
»Ja.«
Klick. Mrs. Leeds danach, blutverschmiert. »Sehen Sie?«
»Ja.«
Klick. Freddy Lounds, ein Foto aus dem Tattler. »Sehen Sie?«
»Mein Gott.«
»Sehen Sie?«
»O mein Gott.« Worte wie bei einem weinenden Kind.
»Sehen Sie?«
»Bitte nicht.«
»Was nicht?«
»Nicht mich.«
»Was nicht? Sie sind doch ein Mann, Mr. Lounds. Sind Sie ein Mann?«
»Ja.«
»Finden Sie, daß ich irgendwie andersrum bin?«
»Um Gottes willen, nein.«
»Sind Sie andersrum, Mr. Lounds?«
»Nein.«
»Werden Sie weiter Lügen über mich verbreiten, Mr. Lounds?«
»Nein, nein, bestimmt nicht.«
»Warum haben Sie diese Lügen über mich geschrieben, Mr. Lounds?«
»Die Polizei hat mich dazu aufgefordert. Sie haben mir gesagt, was ich schreiben soll.«
»Sie haben Graham zitiert.«
»Graham war es, der mir diese Lügen gesagt hat. Graham.«
»Werden Sie von nun an immer die Wahrheit schreiben? Über mich. Über meine Arbeit. Über meine Entwicklung. Über meine Kunst, Mr. Lounds. Handelt es sich hier um Kunst?«
»Kunst.«
Die Angst in Lounds’ Gesicht nahm Dolarhyde alle Hemmungen, so daß er sich keinen Deut mehr um Zisch- und Reibelaute scherte; Verschlußlaute wurden zu seinen mächtigen, von einem feinen Adernetz durchzogenen Schwingen.
»Sie haben behauptet, daß ich, der ich mehr sehe als Sie, geisteskrank bin. Ich, der ich die Welt um so vieles weiter in ihrer Entwicklung vorangetrieben habe als Sie, soll geisteskrank sein. Ich habe mehr riskiert als Sie. Ich habe der Erde mein einzigartiges Siegel wesentlich tiefer eingedrückt, wo es länger Bestand haben wird als Ihr Staub. Im Vergleich zu meinem ist Ihr Leben wie eine Schneckenspur auf einem Stein. Eine dünne, silbern schimmernde Schleimspur über den Lettern der Inschrift meines Denkmals.« Die Worte, die Dolarhyde in sein großes Buch geschrieben hatte, brachen nun aus ihm hervor.
»Ich bin der große Drache, und Sie wollen mich als geisteskrank abstempeln? Jeder meiner Schritte wird ebenso begierig verfolgt und aufgezeichnet wie die Bahn eines großen Kometen. Wissen Sie etwas über den großen Kometen von 1054? Natürlich nicht. Ihre Leser folgen Ihren Ausführungen wie ein Kind, das mit seinem Finger die trägen Windungen einer Schneckenspur nachzeichnet, um schließlich wieder zu Ihrem hohlen Kopf und Ihrem Kartoffelgesicht zurückzukehren, wie die Schnecke ihrer eigenen Schleimspur wieder an ihren Ausgangspunkt zurück folgt.
Vor mir sind Sie nicht mehr als eine Schnecke in der Sonne. Sie haben das Privileg, Zeuge eines grandiosen Werdegangs zu werden, doch Sie begreifen nichts. Sie sind eine Ameise in der Nachgeburt. Es liegt in Ihrer Natur, lediglich eines richtig zu machen: Sie zittern, und dies völlig zu Recht, in meinem Angesicht. Doch ist es nicht Furcht, was Sie mir schuldig sind, Lounds, Sie und all diese anderen Ignoranten. Sie sind mir Ehrfurcht schuldig.«
Nach dieser Tirade stand Dolarhyde, Daumen und Zeigefinger gegen die Nase gepreßt, noch eine Weile regungslos da, bis er schließlich den Raum verließ.
Er hat die Maske nicht abgenommen, dachte Lounds. Er hat sie nicht abgenommen. Wenn er ohne sie zurückkommt, bin ich dem Tod geweiht. Mein Gott, ich bin klatschnaß am ganzen Körper. Er verdrehte die Augen in Richtung Tür und wartete, während er angestrengt auf die Geräusche aus dem hinteren Teil des Hauses lauschte.
Als Dolarhyde zurückkam, trug er noch immer die Maske. Er hatte zwei Thermosflaschen und ein Lunchpaket bei sich. »Für Ihren Nachhauseweg.« Er hielt eine Thermosflasche hoch. »Eis - das werden wir brauchen. Bevor wir losfahren, werden wir aber noch einiges auf Band aufnehmen.«
Er befestigte ein Mikrofon an der Decke über Lounds’ Brust. »Sprechen Sie mir jetzt schön nach.« Nach einer halben Stunde waren sie fertig. »Das wäre alles, Mr. Lounds. Sie
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