Roter Drache
haben Ihre Sache sehr gut gemacht.«
»Lassen Sie mich jetzt gehen?«
»Ja. Es gibt jedoch eine Möglichkeit, meinerseits dazu beizutragen, daß Sie mich besser verstehen können und mich nicht vergessen werden.« Dolarhyde wandte sich von ihm ab.
»Ich will Sie ja auch verstehen lernen. Und vor allem sollen Sie wissen, daß ich Ihnen unendlich dankbar dafür bin, daß Sie mich wieder freilassen. Von jetzt an werde ich mich Ihnen gegenüber wirklich ganz fair verhalten. Das wissen Sie doch.«
Dolarhyde konnte nicht antworten. Er hatte sein Gebiß ausgetauscht.
Das Tonbandgerät lief nun wieder.
Er lächelte Lounds an, diesmal mit braunen, fleckigen Zähnen. Dann legte er Lounds seine Hand aufs Herz und beugte sich zärtlich zu ihm hinab, als wollte er ihn küssen. Doch er biß Lounds die Lippen ab und spuckte sie dann auf den Boden.
21. K APITEL
M orgengrauen in Chicago, drückende Luft und graue, tief hängende Wolken. Ein Sicherheitsbeamter trat aus der Eingangshalle des Tattler-Gebäudes und rauchte am Straßenrand eine Zigarette. Er befand sich ganz allein auf der Straße und konnte fast einen ganzen Block weiter in der morgendlichen Stille das Klacken der Ampel hören, wenn sie umschaltete.
Einen halben Block hinter der Ampel, den Blicken des Beamten entzogen, kauerte Francis Dolarhyde im Fond seines Kombi neben Lounds. Er drapierte die Decke so, daß sie eine; tiefe Kuhle bildete und Lounds’ Kopf darin verschwand.
Lounds hatte entsetzliche Schmerzen. Er wirkte wie betäubt, doch sein Verstand arbeitete mit fieberhafter Schnelligkeit.
An gewisse Einzelheiten mußte er sich unbedingt erinnern. Seine Augenbinde stand über der Nase leicht ab, so daß er in dem dadurch entstehenden schmalen Spalt Dolarhydes Finger erkennen konnte, wenn dieser seinen blutverschmierten Knebel überprüfte.
Dolarhyde schlüpfte in einen weißen Sanitäterkittel, legte Lounds eine Thermosflasche in den Schoß und rollte ihn aus dem Kombi. Als er die Sperre für die Räder des Rollstuhls einlegte und sich umdrehte, um die Rampe in den Kombi zurückzuschieben, konnte Lounds unter seiner Augenbinde hervor ein Ende der Stoßstange des Kombi erkennen.
Als er nun herumgedreht wurde, wanderte sein Blickfeld an der Stoßstange entlang... ja! über das Nummernschild. Nur für den Bruchteil einer Sekunde, aber dennoch brannten sich die Ziffern unauslöschlich in Lounds’ Gedächtnis ein.
Und dann wurde er in Bewegung gesetzt. Gehsteigränder. Um eine Ecke und über den Rinnstein. Papier raschelte unter den Rädern.
An einer geschützten Stelle zwischen einem Müllcontainer und einem geparkten Lastwagen brachte Dolarhyde den Rollstuhl zum Stehen. Er zog an der Augenbinde. Lounds schloß die Augen. Eine Ammoniakflasche unter seiner Nase.
An seinem Ohr eine leise Stimme.
»Können Sie mich hören? Sie sind fast da.« Die Augenbinde wurde ihm abgenommen. »Blinzeln Sie, wenn Sie mich hören können.«
Dolarhyde öffnete mit Daumen und Zeigefinger Lounds’ Auge. Lounds sah direkt in Dolarhydes Gesicht. »In einem Punkt habe ich Ihnen was vorgemacht.« Dolarhyde tippte gegen die Thermosflasche. »Ich habe Ihre Lippen nicht wirklich auf Eis gelegt.« Er riß Lounds die Decke herunter und öffnete die Thermosflasche.
Lounds bäumte sich am ganzen Körper auf, als er das Benzin roch. Die Haut seiner Unterarme riß von den Lehnen los, so daß der Rollstuhl unter dem Zug zu knarzen begann. Das Benzin fühlte sich kalt an auf seiner Haut, und während die Dämpfe in seine Nase stiegen, wurde er plötzlich wieder auf die Straße hinausgerollt.
»Na, was halten Sie davon, Grahams Haustier zu spielen, Freeeeediiiiieeee?«
Das Schnippen eines Feuerzeugs, fast unmittelbar gefolgt von einem dumpfen ›Wump‹, und dem Rollstuhl wurde ein kräftiger Stoß versetzt, so daß er die leicht abschüssige Straße hinunter auf das Tattler-Gebäude zurollte. Und iiik, iiik, iikiikikk gingen die Räder.
Der Kopf des Sicherheitsbeamten zuckte erst herum, als ein gellender Schrei den brennenden Knebel davonfliegen ließ. Und dann sah er das Flammeninferno auf Rädern, durch Schlaglöcher holpernd, auf sich zukommen. Vom Fahrtwind zog der heranrollende Feuerball mächtige Schwingen aus züngelnden Flammen, schwärzlichem Rauch und sprühenden Funken hinter sich her, deren Spiegelungen ruckartig von Schaufenster zu Schaufenster entlang seiner Bahn hüpften.
Schließlich geriet das brennende Gefährt ins Schleudern, krachte gegen einen am Straßenrand abgestellten
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