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Roter Engel

Roter Engel

Titel: Roter Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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unwahrscheinlicher wird.«
    Schweigend saßen sie über ihrem Kaffee, der kalt geworden war, und ihre Freundschaft wurde hier, an ihrer schwächsten Stelle, auf die Probe gestellt. Das ist der Grund, warum Ärzte nie untereinander heiraten dürften, dachte sie. Heute abend wird Paul nach Hause gehen zu Elizabeth, die mit Medizin nichts zu tun hat. Und so wird es zwischen ihnen nicht diese ungeklärten Spannungen geben, keine Gedanken an Doug Carey oder Gerichtsverhandlungen oder Krankenhaus-Verwaltungsräte. All das würde ihnen nicht das Abendessen verderben. Elizabeth wird ihm eine Hilfe sein, diese Krise von sich wegzuschieben, zumindest für einen Abend.
    Und wer würde ihr helfen?

6
    Heute abend mal keine Gummiadler, stellte Dr. Robbie Brace fest, als die Kellnerin ihm das Essen servierte: Lammkarree, neue Kartoffeln, glaciertes junges Gemüse. Alles sah zart aus und sehr jung und frisch. Als sein Messer durch das Fleisch fuhr, dachte er: Privilegierte haben es mit den »Babys« – Baby-Gemüse, Baby-Steinbutt, Jung-Lamm, Spanferkel … Dabei fühlte er sich heute abend gar nicht besonders privilegiert, auch wenn er jetzt an einem Tisch bei Kerzenlicht und einem Glas Champagner saß. Er sah seine Frau Greta an, die neben ihm saß. Ihre blasse Stirn lag in Falten. An der Qualität des Essens konnte es nicht liegen. Man hatte ihr den Wunsch nach einer vegetarischen Mahlzeit gern erfüllt und ein kunstvoll zusammengestelltes Menü serviert. Sie sah sich im Bankettsaal mit den zwei Dutzend Tischen um und bemerkte erst jetzt, was ihrem Mann bereits aufgefallen war: daß man sie am weitesten weg vom Podium plaziert hatte. In eine Ecke verbannt, wo man sie kaum zur Kenntnis nehmen würde.
    Ihr Tisch war zur Hälfte frei; es saßen nur noch zwei Angestellte aus der Verwaltung der Pflegeabteilung und ein stocktauber Brant-Hill-Investor bei ihnen. Mit ihrem Tisch hatte man sie sozusagen nach Sibirien verbannt. Wenn er sich umsah, konnte man unschwer feststellen: Allen anderen Ärzten hatte man bessere Plätze zugewiesen. Dr. Chris Olshank – den sie in derselben Woche eingestellt hatten wie Robbie – saß viel näher zum Podium.
Vielleicht hat das gar nichts zu bedeuten. Vielleicht ist nur bei der Sitzordnung etwas durcheinandergeraten.
Aber es war nicht zu übersehen, wie prinzipiell unterschiedlich er und Chris Olshank behandelt wurden.
    Olshank war weiß.
    Mann, du machst dich nur verrückt.
    Er trank gereizt einen Schluck von seinem Champagner und war sich die ganze Zeit nur zu bewußt, daß er das einzige schwarze Wesen männlichen Geschlechts bei diesem Bankett war. An einem anderen Tisch saßen noch zwei schwarze Frauen, aber er war der einzige schwarze Mann. Das war etwas, das er nie zu registrieren versäumte. Es war immer ganz vorn in seinem Bewußtsein, wann immer er einen Raum voller Menschen betrat. Wie viele Weiße, wie viele Asiaten, wie viele Schwarze? Zu viele von der einen oder anderen Sorte verursachten in ihm ein unwohles Gefühl, als verletze das irgendeine für ihn akzeptable »Rassenquote«. Auch jetzt als Arzt konnte er sich nie von seinen Gedanken lösen, welche Hautfarbe er besaß. Der »M. D.« hinter seinem Namen, sein Doktortitel, hatte daran nichts geändert.
    Gretas Hand griff nach seiner, schmal und blaß auf seiner dunklen Haut. »Du ißt ja gar nichts.«
    »Doch, doch.« Er sah auf ihren vegetarischen Teller. »Wie schmeckt denn dein Kaninchenfutter?«
    »Sehr gut. Wirklich. Willst du mal probieren?« Sie schob ihm eine Gabel voll Kartoffeln in Knoblauchsoße in den Mund.
    »Lecker, nicht? Und besser für deine Arterien als dieses arme Lämmlein.«
    »Einmal Fleischfresser, immer Fleischfresser …«
    »Ja, du mit deinem Fleisch. Aber ich hoffe weiter, du siehst einmal das Licht am Ende des Tunnels.«
    Immerhin konnte er jetzt lächeln, vor allem, wenn er sah, wie schön seine Frau war. Greta war mehr als nur eine äußerliche Schönheit. Ihr Gesicht strahlte Feuer aus und Intelligenz.
    Zwar schien sie blind für ihre Wirkung auf das andere Geschlecht, aber dafür war sich Brace um so schmerzlicher bewußt, wie die anderen Männer sie ansahen. War sich auch bewußt, wie sie dann
ihn
musterten, einen Schwarzen, der mit einer Rothaarigen verheiratet war. Neid, Zorn, Bestürzung – er sah das alles in den Augen der Männer, wenn sie zwischen ihm und seiner Frau, zwischen Schwarz und Weiß, ihre Blicke wandern ließen.
    Jemand klopfte gegen das Mikrophon und bat um Aufmerksamkeit. Brace

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