Roter Engel
sich.
»Blutdruck?« rief er.
»Konstant fünfundsiebzig«, sagte Val.
»Transfusion fortführen. Brauchen wir Nachschub?«
»Schon unterwegs.«
»Okay.« Carey holte tief Luft. »Schaun wir mal nach, was wir da sonst noch haben …« Er saugte das angesammelte Blut ab, um einen besseren Überblick zu bekommen. Dann bat er, ihm sein Arbeitsfeld besser auszuleuchten, nahm einen Tupfer und reinigte die Aorta.
Plötzlich hielt er an. »Scheiße«, sagte er. »Die Kugel …«
»Was?«
»Genau hier. In der Wand gegenüber. Sie ist fast durch!« Langsam zog er seine Hand zurück.
Eine Fontäne Blut schoß hoch und bespritzte ihre Gesichter.
»
Nein!
« schrie Toby.
In Panik nahm Carey eine Klammer vom Instrumententisch und fuhr mit ihr in das hervorquellende Blut. Er arbeitete blind.
Das Blut lief aus dem Thorax über Tobys Kleidung.
»Ich kann sie nicht stoppen – fühlt sich an, als wäre es ein Riß die ganze verdammte Wand hinauf …«
»Klammern Sie! Können Sie es nicht klammern?«
»
Was
denn klammern? Die Aorta ist zerrissen …«
Der Herzmonitor piepte. »Asystolie!« sagte die Anästhesistin.
»Wir haben einen Systolenausfall!«
Tobys Kopf fuhr herum zum Bildschirm. Die Herzkurve wurde flacher.
Sie griff in das sprudelnde Blut und faßte nach dem Herzen, preßte einmal, zweimal, spürte Robbies Herzschlag.
»Lassen Sie das!« sagte Carey. »So verblutet er nur!«
»Er hat einen Stillstand …«
»Das läßt sich nicht ändern.«
»Was können wir denn
sonst
machen, verdammt?«
Der Monitor piepte noch. Carey sah in die offene Brusthöhle.
Auf das schimmernde Blut, das sich dort sammelte. Nachdem Toby keine Herzmassage mehr machte, spritzte kein Blut mehr aus der Aorta hoch. Es tropfte nur noch langsam aus dem offenen Thorax auf den Boden.
»Es ist vorbei«, sagte Carey und trat ruhig von Robbies totem Körper zurück. Seine Kleidung war bis zur Taille blutbespritzt.
»Da gab es nichts mehr zu nähen, Toby. Die ganze Aorta war zerrissen. Einfach nicht mehr da.«
Toby warf einen Blick auf Robbies Gesicht. Seine Augenlider standen halb offen, das Kinn hing herunter. Die Beatmungsmaschine lief noch und pumpte Luft in einen toten Leib.
Die Anästhesistin schaltete sie ab. Schweigen lag jetzt über dem Raum.
Toby legte die Hand auf Robbies Schulter. Durch die sterilen Tücher hindurch fühlte sie sich fest an und immer noch warm.
Ich lasse nicht zu, daß irgend etwas schiefgeht.
»Es tut mir leid«, flüsterte sie. »Es tut mir so leid …«
Die Polizei war noch vor Robbies Frau da. Blitzschnell hatten die ersten Streifenbeamten den Tatort gesichert, sperrten dann den halben Parkplatz ab. Als dann Greta in die Notaufnahme rannte, lag der Platz im Schein-werferlicht von einem halben Dutzend Polizeiwagen aus Boston und Newton. Toby stand am Empfangscounter und sprach mit einem der Detectives, als sie Greta mit windzerzaustem rotem Haar zur Tür hereinkommen sah. Im Wartebereich wimmelte es von Cops, und zwischen ihnen liefen bestürzte Notaufnahmepatienten auf und ab. Greta schnaubte und fluchte, weil sie sich den Weg nach vorn regelrecht freikämpfen mußte.
»Wo ist er?« schrie sie.
Toby brach ihr Gespräch mit dem Detective ab und ging auf Greta zu. »Es tut mir leid …«
»
Wo ist er?
«
»Er ist noch in der Unfallstation. Greta, nein! Gehen Sie da jetzt nicht hinein. Lassen Sie uns etwas Zeit, um …«
»Er ist mein Mann. Ich muß ihn sehen.«
»Greta …«
Aber die Frau stürmte an ihr vorbei in den Behandlungsbereich. Toby folgte ihr. Greta wußte nicht, wohin. Sie war außer sich, rannte im Zickzack von Raum zu Raum und sah hinein.
Schließlich entdeckte sie die Tür mit dem Schild
Unfallstation
und stürzte ohne Zögern in das Zimmer.
Toby war direkt hinter ihr. Dr. Daniel Dvorak stand in OP-Kleidung mit Handschuhen über die Leiche gebeugt, als die beiden Frauen hereinkamen. Er sah hoch. Robbie lag unbedeckt mit geöffnetem Brustraum da. Sein Gesicht war schlaff.
»Nein«, sagte Greta, und ihr Stimme schwoll von einem Jammern zu einem hohen, kreischenden Schreien. »
Nein …
«
Toby faßte sie am Arm und wollte sie aus dem Raum zerren, aber Greta schüttelte sie ab und taumelte an die Seite ihres Mannes. Sie faßte sein Gesicht mit beiden Händen, küßte ihn auf Stirn und Augen. Der Beatmungs-tubus war noch an Ort und Stelle, und das Ende ragte aus seinem Mund hervor. Sie riß an dem Klebeband, mit dem er befestigt war, wollte dieses anstößige Stück Plastik
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