Roter Fluch - Wells, J: Roter Fluch - Mage in Black - Red-Headed Stepchild Trilogie 2
überlegte sie es sich offenbar anders. »Gut, ich hab’s verstanden.«
Frustriert trank ich den letzten Schluck Blut. Der chemische Nachgeschmack ließ mich das Gesicht verziehen. »Die Sonne geht bald auf. Ich sollte mich besser aufs Ohr hauen.«
Sie nickte, während sie gedankenverloren mit ihrem Glas spielte. »Gute Idee. Du brauchst den Schlaf, um morgen Abend fit zu sein.«
Ich stellte mein Glas ab, insgeheim froh, endlich das Thema wechseln zu können. »Was gibt es denn morgen Abend so Wichtiges?«
»Wir fahren zum Landsitz des Rates in der Nähe von Sleepy Hollow, um dort mit deiner Visionssuche zu beginnen.«
Ich runzelte die Stirn. Bilder von drogenberauschten Schamanen stiegen vor meinem inneren Auge auf. »Was bedeutet eigentlich Visionssuche?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Das Ganze ist eigentlich ziemlich schmerzlos. Du trinkst einen speziellen Tee, der Visionen auslöst. Danach deuten wir die Bilder, um zu bestimmen, wie dein weiterer magischer Weg aussieht.«
Ich rieb mir die Stirn. Dieses ganze Gerede über Symbole und ähnliches Eso-Zeug verursachte mir Kopfschmerzen. »Kann ich dich was fragen?«
Sie lächelte. »Natürlich.«
»Habt ihr eigentlich mal die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass ich gar keine magischen Fähigkeiten besitze?«
Maisie verschränkte die Arme und lächelte. »Natürlich nicht. Sabina, du hast mit Giguhl deinen spirituellen Begleiter gefunden, und ich würde behaupten, das ist ein recht eindeutiger Hinweis auf eine gewisse magische Veranlagung.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ja schon, aber ist das nicht ziemlicher Standard?«
»Das Herbeirufen eines solchen Wesens ist Grundlagenwissen – ja. Aber die meisten Magier können einen Dämon nur beherrschen, solange er einen bestimmten Zauber ausführen soll. Sehr wenigen gelingt es, einen Dämon länger unter Kontrolle zu halten. Allein die Tatsache, dass dir das gelingt, obwohl du kaum einen Gedanken daran verschwendest, ist bemerkenswert.«
Ich rollte mit den Augen. Wenn sich jemand die Mühe gemacht hätte, mich zu fragen – wozu aber offensichtlich niemand bereit war -, hätte ich ihm erklären können, dass ich Giguhl keineswegs unter Kontrolle hatte. Natürlich konnte ich ihm befehlen, die Gestalt zu ändern, aber ansonsten verbrachte ich die meiste Zeit damit, den Schaden in Grenzen zu halten, den er anzurichten versuchte. Oder mich mit ihm zu streiten. Ich mochte mich irren, aber wenn ich Giguhl tatsächlich im Griff hätte, sollte er dann nicht … na ja … irgendwie unterwürfiger sein?
»Am besten«, meinte Maisie, »gehst du jetzt schlafen. Morgen wissen wir mehr und können uns überlegen, wie es weitergeht. Bis dahin solltest du dir keine Gedanken machen.«
Ich nickte. »Dann also bis morgen Abend.« Damit stand ich auf und ging zur Tür.
»Ach, Sabina? Du solltest bis zur Visionssuche besser nichts mehr essen.«
Mit der Hand am Türknauf hielt ich inne. Wenn ich daran dachte, dass ich bereits einen Großteil dieser Nacht in kniender Verehrung der Göttin der Porzellanschüssel verbracht hatte, fand ich Maisies Versicherung, dass die Visionssuche relativ schmerzlos sein würde, nach diesem Hinweis nicht mehr sonderlich beruhigend.
»Warum?«, fragte ich misstrauisch.
Maisie dachte einen Moment lang nach. »Mit leerem Magen bist du in diesem Fall einfach besser dran. Glaub mir.«
Es war offensichtlich, dass sie nicht nur Blut meinte, das ich nicht zu mir nehmen sollte. Es ist nämlich ein Mythos, dass wir Vampire zu den Untoten gehören. Diese alten Filme, in denen behauptet wird, wir würden nichts anderes zu uns nehmen als Blut, irren sich gewaltig. In Wahrheit kommen wir genauso auf die Welt wie Menschen. Wir haben Hunger und Durst und befriedigen diese Bedürfnisse mit gewöhnlicher Nahrung. Der einzige Unterschied besteht darin, dass wir hie und da auch unseren Blutdurst stillen müssen. Essen allein hält uns nicht am Leben, aber wir lassen uns einen guten Cheeseburger genauso schmecken wie die meisten Sterblichen auch.
Als ich endlich auf den Weg in mein Zimmer war, wurde mir klar, dass mich Maisie noch nicht wirklich kannte. Sonst hätte sie nicht angenommen, dass ich jemandem einfach so vertraute – auch nicht, wenn dieser Jemand meine Schwester war.
7
»Das habe ich heute erhalten.« Orpheus warf einen Brief auf seinen Schreibtisch.
Sein Büro befand sich im Erdgeschoss, zusammen mit sämtlichen anderen Verwaltungsräumen des Hekate-Rats. Er stand hinter seinem
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