Roter Herbst - Kriminalroman
ein Verhältnis mit Marlies Berger?«
»Ach, was denken Sie denn? Nein, nein … zumindest nicht gleich. Aber es machte ihr nichts aus, dass ich eine Frau war.« Sie lachte und blickte Bichlmaier belustigt und ein bisschen provozierend an.
»Wie lange haben Sie zusammengelebt?«
»Gewohnt, Herr Kommissar. Mehr als ein Jahr. Sie hat in der Zeit ihr Kind zur Welt gebracht, den kleinen Martin …«
»War ihr damals klar, dass mit dem Kleinen nicht alles in Ordnung ist?«
»Sie hat es ziemlich bald erfahren, obwohl das Kind anfangs wie alle anderen Kinder aussah. Daraufhin hat sie es weggegeben. Sie hat es ihren Eltern gebracht …«
»Und dann?«
»Dann kam sie zurück. Aber sie war verändert. Das war nicht zu übersehen.«
»Haben Sie in all diesen Monaten Martins Vater je gesehen?«
»Nein, und davor auch nicht.«
»Sie hat gelegentlich über ihn geredet, aber sie wusste anscheinend wirklich nicht, wo er sich aufhielt. Er war wie vom Erdboden verschwunden.«
»Kennen Sie den Mann?«, fragte Bichlmaier und deutete auf das zweite Bild, das er vor sie auf den Tisch gelegt hatte.
Gina Baier schüttelte den Kopf. »Nein, den habe ich noch nie gesehen. Ist er das?«
Bichlmaier nickte. »Hat sie je seinen Namen genannt?«
»Ja, sie hat immer von ihrem Hartmut gesprochen.«
»Nur Hartmut?«
»Ja.«
»Kein Familienname?«
»Nein. Irgendetwas stimmte mit diesem Hartmut nicht. Darüber hat sie aber nie etwas verlauten lassen. Nur dass er verheiratet war und Kinder hatte … Das war aber nicht das Problem für sie. Da gab es etwas, das mit den politischen Verhältnissen von damals zu tun hatte. Und mit seinem Bruder und mit den Freunden, mit denen der sich herumtrieb. Aber, was das war …«
»Hat sie jemals gesagt, was dieser Hartmut beruflich machte?«
»Ich glaube, er hatte einen Job bei der Reichsbahn im Osten. Aber damals ging’s ziemlich kunterbunt zu, und so genau wusste man nie, was einer machte. Das galt natürlich nicht für die Beamten und Staatsdiener sowie für die Bullen und Kriminalkommissare…« Sie lachte und legte ihre Hand einen Augenblick lang auf seinen Oberschenkel, so als wollte sie ihn beruhigen.
Bichlmaier spürte, wie ihn die Berührung erregte, und er konnte nicht anders, rutschte in seinem tiefen Sessel hin und her. Das schien ihr zu gefallen, und ganz langsam ließ sie ihre Hand weiter an seinen Schenkeln nach oben wandern. Dabei beugte sie sich zu ihm hin, dass er die süße Wolke ihres Parfüms einzuatmen genötigt war. In diesem Augenblick, als er voll Panik nach Luft keuchte und sich ihr völlig ausgeliefert fühlte, erfasste ihn eine wilde Gier nach ihrem Fleisch und ihrer Umarmung und ihrer Feuchtigkeit, dass er sich mit aller Kraft aufbäumte und beide ziemlich ungeschickt auf dem Boden vor der Couch landeten. Was folgte, ging sehr schnell, und als er dann nach Luft ringend neben ihr lag, umschlang sie ihn mit ihrem Lachen, bis er selbst in ein abgehacktes, heiseres Lachen ausbrach, das wie das Weinen eines alten, räudigen Katers klang.
Irgendwann in der Nacht wurde er wach und verspürte einen gewaltigen Durst. Sein Mund war trocken und seine Zunge klebte am Gaumen. Unbeholfen stand er auf und tastete sich im Grau des heraufziehenden Morgens in die Küche, wild entschlossen, etwas Wasser zu finden. Im Kühlschrank stand nur eine angebrochene Dose mit Diät-Cola, die er angewidert austrank.
Dann schlich er zurück und setzte sich auf die Bettkante. Er betrachtete die Frau, die tief und fest schlief und leise röchelte. Sie lag in Embryonalstellung, die Hände zwischen den Schenkeln. Mit einem Mal war sie ihm schrecklich fremd. Er hatte sie einige wenige Momente lang begehrt und ihre Geilheit ausgekostet. War ihr nahe gewesen. Jetzt lag sie nackt vor ihm, und nachdem der Rausch vorüber war, sah er nur noch eine einsame Frau mit einem müden Körper, der sich nach der Unschuld der Kindheit sehnte.
Er deckte sie zu, stand auf und begann, sich anzukleiden. Er wusste, er würde sie aller Wahrscheinlichkeit nach nie wiedersehen.
Es war kurz vor halb vier am Morgen, als er in sein Auto stieg und die Rückfahrt antrat. Zumindest kannten sie jetzt den Vornamen von Martins Vater.
26
Amanda Wouters saß auf dem Boden ihres Wohnzimmers und blickte durch die offen stehende Tür, die in den Garten hinausführte. Wieder einmal träumte sie sich von hier weg, den Kopf schräg gelegt. Ein leiser Wind zog herein, der das Nahen einer schöneren Jahreszeit verkündete. Sie
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