Roter Hibiskus: Roman (German Edition)
befanden: am Dach hing eine Lampe, die an einem Stab befestigt war, und das Kamerastativ lag am Boden neben einem großen, silbernen Blech, mit dem eine Szene aufgehellt wurde. Normalerweise wäre durch die Hüttenwände Tageslicht gefallen, aber Brendan hatte von außen alles mit schwarzer Plastikfolie umwickelt, damit es so wirkte, als ob es Nacht wäre.
Mara lauschte auf irgendwelche Bewegungen draußen, aber alles war still. Sie hatte das seltsame Gefühl, sich in der Unterwelt zu befinden, außerhalb von Raum und Zeit. Leonard hatte nicht gesagt, ob sie herauskommen sollte, wenn sie fertig war, oder ob sie einfach hier drinnen warten sollte, bis er zurückkam. Unschlüssig schaute Mara an ihrem Kleid hinunter. Die rote Seide schmiegte sich in sinnlichen Falten um ihre Hüften und Schenkel; das Kleid war tief ausgeschnitten, und bis auf schmale Träger waren ihre Schultern nackt. Dieses Kleid enthüllte mehr als die Kleider, die die Frauen der Kunden in der Lodge getragen hatten – es war aufsehenerregender als Matildas schmales Silberkleid. Eine Frau, die so angezogen war, war eigentlich in dieser einfachen Hütte fehl am Platz, dachte Mara. Aber Leonard hatte gemeint, dass es für den Film gut war: Gegensätze schufen etwas Neues. Und in Bezug auf das Drehbuch ergab es auch Sinn: Maggie und Luke wollen sich für ihren letzten gemeinsamen Abend, vor ihrer Rückkehr nach Sansibar, noch einmal richtig elegant anziehen. Sie wollen ihr ganzes Leben lang an diese Nacht denken. Also wandern Maggie in ihrem roten Kleid und Luke im Abendanzug barfuß durch den Garten (der Boden war von den Hütten-Boys sorgfältig nach Dornen und Insekten abgesucht worden), Champagnergläser in der Hand, und genießen den Sonnenuntergang.
Und dann ziehen sie sich in die Grashütte zurück.
Langsam drehte Mara sich um und schaute zum anderen Ende der Hütte. Dort war ein afrikanisches Bett aufgebaut worden: ein einfacher Holzrahmen, der mit Kuhhäuten ausgepolstert war. Darüber lagen ein Leopardenfell und ein paar kitenges . Fast in der Mitte des Bettes lag eine einzelne Hibiskusblüte, deren leuchtendes Rot zur Farbe des Kleides passte. Mara sah die leicht gekräuselten Ränder der Blütenblätter und die hellgelben Tupfen der Pollen. Die Blüte sah auf dem schwarzgoldenen Leopardenfell zerbrechlich aus. Und doch schien sie zugleich dorthin zu gehören, als ob sie nirgendwo anders liegen könnte. Das war Rudis Kunst, dachte Mara. Dieser Platz war seine Schöpfung.
Ungläubig blickte sie sich um. Es schien ihr unmöglich, dass sie wirklich hier stand, angezogen wie ein Filmstar, und darauf wartete, dass Peter zu ihr kam.
Er würde sie zum Bett führen und sich dort mit ihr hinlegen.
Sie ballte die Fäuste und spürte, wie ihre Fingernägel sich in ihre Handflächen bohrten. Dann schloss sie die Augen. Nicht wir werden es sein. Es werden Maggie und Luke sein, rief sie sich ins Gedächtnis. Es ist nicht real. Nur deshalb können wir es ja machen.
Mara zuckte zusammen, als die Tür aufging. Überrascht hielt sie die Luft an. Statt Leonards schlaksiger Gestalt in der roten Latzhose sah sie einen Mann im dunklen Anzug. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie realisierte, dass es Peter war. Sie hatte ihn bisher nur in heller Tropenkleidung oder khakifarbener Safari-Ausrüstung gesehen. In seinem schwarzen Jackett und dem strahlend weißen Hemd sah er noch blendender aus als sonst.
Plötzlich merkte Mara, dass nicht nur sie Peter anstarrte, sondern dass auch er den Blick nicht von ihr abwenden konnte.
»Du … du siehst gar nicht so aus wie sonst«, sagte er.
»Du auch nicht«, erwiderte Mara.
Sie blieben beide bewegungslos stehen. Verlegenes Schweigen senkte sich über sie. Mara zupfte nervös an ihrem Kleid, und um Peter nicht in die Augen sehen zu müssen, blickte sie auf die Flasche Champagner, die er in der Hand hielt. In der anderen Hand hatte er zwei Gläser, die Stiele zwischen den Fingern eingehakt. Peter folgte ihrem Blick und hob die Flasche, um ihr zu zeigen, dass sie nur halb voll war.
»Den Rest haben wir draußen getrunken«, sagte er.
Mara blickte ihn verwirrt an. Eine Sekunde lang stellte sie sich vor, wie er mit Leonard die halbe Flasche Champagner geleert hatte, während sie sich umzog.
»Wir haben uns den Sonnenuntergang angeschaut«, fügte er hinzu. »Du und ich – drüben am Wasserloch.«
»Ah ja.« Mara nickte. Ihr fiel ein, dass die Szenen des Tages ja nicht in chronologischer Reihenfolge gefilmt werden
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