Roter Hibiskus: Roman (German Edition)
ein weiterer. Und dann noch ein dritter.
Mara wusste, dass sie letztendlich zum Landrover zurückgehen und John hier alleinlassen musste. Sie konnte ihn nicht tragen, dazu war er zu schwer. Aber sie würde sein Gesicht mit Steinen bedecken, beschloss sie, um die Vögel von seinen Augen fernzuhalten. Und sie würde sofort mit Leuten aus dem Dorf hierher zurückkommen – mit Johns Gewehrträgern und anderen, die ihn nach Hause bringen konnten. Allerdings würde sie nicht mit ihm zum Bezirksamt nach Kikuyu fahren. Zwar wusste sie, dass sie das eigentlich tun müsste, aber sie wollte ihn in die Lodge bringen, an den Ort, den er liebte.
Im Moment aber konnte sie sich noch nicht bewegen. Sie saß bei John, vertrieb die Fliegen und hinderte die Geier daran, sich bei ihm niederzulassen. Fast kam es ihr so vor, als könnte sie die Zeit anhalten. In dem Raum, den sie sich geschaffen hatte, zwischen dem, was passiert war, und dem, was als Nächstes kommen würde, würde sie Kraft sammeln.
Du bist stärker, als du denkst. Du bist eine starke Frau.
Peters Worte kamen ihr in den Sinn, und sie hielt sich daran fest, umklammerte sie wie einen Schutzschild.
18
Die Afrikaner kamen noch vor der Morgendämmerung, tauchten wie Gespenster aus der Dunkelheit auf, als sie in den Lichtkreis um die Lodge traten. Mara saß am Kopfende des Sarges, der auf einem Klapptisch auf der Veranda stand. Sie fühlte sich zerbrechlich, als sie die Trauergäste begrüßte. Sie war froh, dass Kefa und Menelik wie Wächter zu beiden Seiten ihres Stuhles standen. Sie hatten sie bei jedem Schritt in den letzten vierundzwanzig Stunden begleitet – sie hatten den Sarg beim indischen Schreiner in Kikuyu bestellt und hatten sich darum gekümmert, dass Dr. Hemden aus der Mission kam und den Totenschein ausstellte. Sie hatten sogar die Aufgabe übernommen, Johns Leichnam für die Beerdigung vorzubereiten. Ursprünglich hatte Mara das selbst tun wollen. Sie war mit Handtüchern und einer Schüssel voll Wasser ans Bett getreten, um John die Überreste des Hemds auszuziehen und die schrecklichen Verletzungen, die sich darunter verbargen, zu enthüllen. Minuten dehnten sich wie Stunden, als sie wie erstarrt dastand. Dann hatte sie Meneliks Hand auf ihrem Arm gespürt, ruhig und kühl. Sanft hatte er ihr das Handtuch aus den zitternden Fingern genommen.
»Si kazi yako«, hatte er mit fester Stimme gesagt, als ob sie sein Kind wäre. »Das ist nicht deine Aufgabe.«
Mara blickte in den Sarg. Johns Gesicht lag im Schatten, aber sein Körper – eingewickelt in einen weißen äthiopischen Schal mit schwarzer Bordüre – schimmerte beinahe im Zwielicht. Sie spürte die tiefe Stille des Todes, die von seinem Leichnam ausging.
Jeder Besucher trat vor, und Mara nickte zu den gemurmelten Beileidsbezeugungen. Sie erkannte viele Leute aus dem Dorf. Einige hatten ihre Alltagskleidung abgelegt und trugen die traditionellen Lendentücher oder kitenges, und einige hatten sich Schlammfarbe auf Gesichter und Körper gemalt. Andere trugen sogar Anzug und Hemd. Sie alle drängten sich vor dem Sarg, eine inhomogene Menge, wie Schüler von verschiedenen Schulen. Da war eine Gruppe von Männern, die sie noch nie zuvor gesehen hatte; ihre Kleider waren staubbedeckt, und sie trugen Wanderstöcke über der Schulter.
»Sie sind die ganze Nacht hindurch gegangen«, warf Kefa ein.
Mara lächelte anerkennend. Sie freute sich, dass so viele Menschen John ihre Achtung erwiesen. Bei einigen geschah es sicher nur aus Höflichkeit oder auch aus Neugier, aber viele, das wusste sie, hatten John gut gekannt. Manche kannten ihn schon seit seiner Jugend; sie hatten ihn aufwachsen sehen, bis er schließlich Bwana der Raynor Lodge geworden war. Sie hatten Befehle von ihm entgegengenommen – manchmal sehr barsch geäußert – und waren von ihm bezahlt worden. Aber sie waren auch mit ihm durch den Busch gewandert, hatten gefährliche Situationen erlebt und am Lagerfeuer ihr Essen und ihre Geschichten mit ihm geteilt. Einige von ihnen gehörten wahrscheinlich zu Johns engsten Freunden, dachte Mara.
Jeder trat an den Sarg, stand einen Augenblick lang still da und blickte auf Johns Gesicht und die weiße Hülle um seinen Körper. Ab und zu fügte jemand den Gegenständen, die an Johns Füßen lagen, noch etwas hinzu – einen kleinen Lederbeutel, eine winzige Flasche Öl. Der Gewehrträger hatte die ersten Dinge hineingelegt: einen Emailbecher und Löffel und Gabel aus Johns
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