Roter Hibiskus: Roman (German Edition)
jetzt brachen sie nicht das Schweigen, das sie seit Kikuyu beibehalten hatten.
Als sie zwischen den Bäumen heraustraten, folgten sie einem Trampelpfad, der zu einer tief eingeschnittenen Wasserrinne führte. Der Weg bog um die Ecke und endete in einem kleinen Cul-de-sac. An windigen Tagen suchten Mara und John dort an den Steilwänden Schutz, aber heute war ein ruhiger Tag, deshalb setzten sie sich an ihre Lieblingsstelle, eine natürliche Sandsteinbank, von der aus sie das gesamte Tal überblicken konnten.
Sie setzten sich nebeneinander, aber nicht so dicht, dass sich ihre Körper berührten. Dann blickten sie schweigend zu ihrem Zuhause. Aus dieser Entfernung wirkte es unverändert. Eine Gruppe von Fieberbäumen verbarg die Aussichtsterrasse, und die Grashütte fügte sich unauffällig in die Landschaft ein. Es gab kein offensichtliches Zeichen dafür, dass die Lodge, die John schließen wollte, ein erfolgreiches Unternehmen war.
Mara öffnete den Mund, aber es kam immer noch kein Ton heraus. Sie dachte an das Baby, stellte sich die winzige Gestalt in ihrem Bauch vor. Sie sagte sich, dass es John und sie bestimmt wieder einander näherbringen würde, wenn sie Eltern würden. Aber selbst in diesem Moment wandten sich ihre Gedanken Peter zu. Sie wusste zwar, dass er für sie verloren war, aber er schien ein Teil von ihr geworden zu sein. Jeder Gedanke, jeder Atemzug galt ihm, und sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie jemals wieder mit John zusammenleben, geschweige denn sich neu in ihn verlieben sollte. Und ihre Ehe würde es ganz bestimmt nicht überleben, wenn sie ihm von Peter erzählte. Sie hatte zuerst überlegt, ob sie nichts sagen sollte – ob sie genau wie John das Geheimnis wahren sollte –, aber sie hatte die negativen Auswirkungen des Schweigens bereits am eigenen Leib erfahren. Alle ungesagten Worte türmten sich auf, bis schließlich eine Mauer entstand, die durch nichts mehr niedergerissen werden konnte. Sie hatte auch daran gedacht, ob sie ihm sagen sollte, dass sie von seiner Affäre mit Matilda wusste. Aber sie spürte, dass selbst das an Johns Eifersucht und seinem Glauben, er sei zurückgewiesen worden, nichts ändern würde. Schließlich hatte sie überlegt, ob sie jegliche Konfrontation auf unbestimmte Zeit verschieben sollte – vielleicht bis nach der Geburt des Babys. Oder sogar noch länger. Aber Carlton hatte versprochen, den Film im Saal in Kikuyu vorführen zu lassen, und Mara glaubte Leonard zwar, wenn er behauptete, niemand würde sie als Maggie erkennen, aber sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie neben John im Kino sitzen und den Film anschauen würde … Sie musste es ihm jetzt sagen – auch wenn sie mit Gewissheit wusste, dass er nie verstehen oder akzeptieren würde, was geschehen war.
Stumm starrte Mara in die Ferne, und langsam baute sich ein Gefühl der Panik in ihr auf. Aber sie hatte keine andere Wahl. Mit den Blicken folgte sie einem Adler, der in einem weiten Bogen über ihnen kreiste. Sie stellte sich vor, er würde auf sie herabstürzen und sie packen, aus ihrem Leben herausreißen …
Plötzlich spürte sie Johns Hand auf dem Arm. Sie verstand die Geste sofort – der erfahrene Jäger hatte etwas Ungewöhnliches gehört. Sie sah, dass er aufmerksam den Eingang zur Wasserrinne musterte.
Dort tauchten die Spitzen von zwei gelbweißen Stoßzähnen auf, gefolgt von einem grauen Rüssel. Nach und nach wurde das ganze Tier sichtbar – der breite Kopf mit den kleinen Augen, die großen Füße, der massive Leib, die Ohren, die den Umrissen Afrikas ähnelten.
»Wir stören sie nicht«, murmelte John, ohne sich zu bewegen. Auch Mara blieb ganz still sitzen.
Die Elefantenkuh riss hier und dort Gras aus, während sie in die Rinne hineinmarschierte. Gelegentlich wischte sie mit ihrem Rüssel über den Boden. Mara vermutete, dass sie die Witterung der beiden Menschen aufnahm, denn sie ging den gleichen Weg wie sie.
Das riesige Tier war jetzt kaum noch sechs Meter entfernt. Mara hörte das raspelnde Geräusch der Hautfalten, die sich aneinander rieben, als es sich vorwärtsbewegte. Hoch ragte die Elefantenkuh über den Büschen auf, majestätisch und mächtig mit ihrer ledrigen, faltigen Haut.
Mara warf einen Blick auf John. Auch er wirkte wie verzaubert, und sie fühlte sich ihm zum ersten Mal seit langer Zeit wieder nahe. Fast kam es ihr so vor, als ob das Auftauchen des Tieres etwas mit Johns Gelübde zu tun hatte, nie wieder einen Elefanten
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