Roter Hibiskus: Roman (German Edition)
den Spiegel ans Fensterbrett und beugte sich vor, um ihr Gesicht sehen zu können. Sie betupfte Nase und Stirn mit der Puderquaste und fuhr sich mit dem Lippenstift über die Lippen. Dabei wartete sie die ganze Zeit auf Tombas Ruf – er hatte versprochen, in seinem Ausguck zu warten, um die Lodge warnen zu können, wenn die Gäste eintrafen.
Mara presste die Lippen aufeinander, um die Farbe gleichmäßig zu verteilen. Die Verlobte eines Kunden von John hatte den Lippenstift in der Lodge zurückgelassen. Kritisch musterte Mara das Ergebnis. Er war zu grell, entschied sie – und außerdem war es wahrscheinlich sowieso keine gute Idee, Lippenstift aufzulegen. Es könnte so aussehen, als wollte sie die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Sie war gerade dabei, ihn wieder abzureiben, als in der Ferne ein Ruf ertönte.
Innerhalb weniger Minuten versammelten sich alle Bediensteten am Eingang der Lodge. Auf Kefas Geheiß stellten sie sich zu beiden Seiten des Bogens aus den Elefantenstoßzähnen auf – selbst der Nachtwächter war da und blickte sich verschlafen um. Nur Männer oder Jungen waren in der Lodge – die Frauen aus dem Dorf arbeiteten in den shambas der Familien und kamen nur zur Lodge, um Eier, Milch oder Gemüse zu verkaufen. Kefa hatte vermutlich die Kleider inspiziert, denn alle trugen eine Art Safaridress. Die Kleidungsstücke waren zwar von unterschiedlichem Stil und Alter, aber sie waren alle khakifarben, frisch gewaschen und gebügelt.
Mara ging die Reihen entlang und lächelte nervös, während sie einen Arbeiter nach dem anderen musterte. Es rührte sie, wie viel Mühe sie sich gegeben hatten – die frisch geschnittenen Haare, die polierten Gürtel. Manche hatten sogar Binas neue Knöpfe angenäht, obwohl einigen die ungewohnte Arbeit nur sehr grob gelungen war.
Als Mara bei Menelik angekommen war, senkte sie den Blick. Es sollte nicht so aussehen, als inspizierte sie sein Aussehen – obwohl sie anstelle des Bwana hier stand. Nicht nur die Erscheinung des alten Mannes schüchterte Mara ein, auch nicht sein Alter oder die Vorurteile, die er ihr gegenüber an den Tag legte. Sie war sich vielmehr der Tatsache bewusst, dass er sich noch an Alice erinnerte. Als er zur Raynor Lodge gekommen war – nachdem die Baronin nach England zurückgekehrt war –, war Alice hier gewesen. Unwillkürlich verglich der Mann die beiden Memsahibs, und Mara wusste, dass sie dabei schlechter abschnitt. Mara stellte sich neben Kefa. Erwartungsvolle Stille senkte sich über die kleine Gruppe. Die üblichen Geräusche wie das Gackern der Hühner und das Rascheln der Vögel in den Bäumen erschienen auf einmal überlaut. Dann tauchte Tomba auf, sein blau-rotes Cowboyhemd flatterte, als er über den Rasen sprintete.
Vor Mara blieb er schwer atmend stehen und beugte sich leicht vor, um anzuzeigen, wie schnell er gerannt war, um seine Nachricht zu überbringen.
»Sie kommen«, verkündete er.
Alle wandten sich erwartungsvoll der Einfahrt zu. Aus den Augenwinkeln sah Mara, wie Kefa Tomba mit einer Handbewegung von den Bediensteten weg in den Schatten eines Pfefferkornbaumes schickte.
Ein Landrover kam in Sicht und holperte die Piste entlang. Der schwarz-weiße Lack, der aussehen sollte wie die Streifen auf dem Fell eines Zebras, war mit rotem Staub bedeckt.
Als er anhielt, tauchte ein zweites Fahrzeug auf – ein großer Lastwagen mit einer Plane über der Ladefläche. Mara warf Bwana Stimu einen Blick zu. Vermutlich war das der Generator.
Zuerst öffnete sich die Tür an der Beifahrerseite des Landrovers. Ein Mann stieg aus und trat direkt auf Mara zu.
»Hi, ich bin Leonard«, erklärte er. »Der Regisseur.«
Mara blickte ihn überrascht an. Er sah ganz anders aus als sein Bruder. Carlton war eher klein und übergewichtig, während Leonard lange, schlanke Gliedmaßen und ein knochiges Gesicht hatte. Die Männer hatten beide dunkle Haare, aber Leonard hatte dichte Locken, während Carltons Haare glatt waren. Mara fiel auf, dass Leonard sich ständig umblickte, als versuche er, in möglichst kurzer Zeit ein Maximum an Informationen aufzunehmen.
»Guten Tag«, sagte sie höflich. »Wie geht es Ihnen?«
Leonard streckte den Arm aus, um ihr die Hand zu schütteln. »Großartig, einfach großartig. Wie geht es Ihnen?«
»Gut, danke.« Mara lächelte warm. Ihr gefiel das lässige Auftreten der Amerikaner. John konnte sich nie wirklich an sie gewöhnen, aber ihr waren sie vertraut – Australier waren eigentlich nicht
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