Roter Hibiskus: Roman (German Edition)
Scheinwerfer verstärkten noch die normale Tageshitze. Carlton hatte die Hütten-Boys an den Türen zur Veranda postiert, damit sie sie, wenn Leonard »Schnitt!« rief, öffnen und frische Luft hereinlassen konnten. In der übrigen Zeit waren alle Türen geschlossen, damit nicht zu viel Tageslicht in den Raum drang.
Mara achtete darauf, den Filmleuten nicht in die Quere zu kommen. Ständig kam jemand zu ihr und fragte nach irgendwelchen Kleinigkeiten – ein Stück Schnur, eine Kerze, ein Taschenmesser. Rudi hatte ihr erklärt, dass jede Abteilung normalerweise über mehrere Lastwagen voll Ausrüstung verfügte, damit sie alles dabeihatten, was sie möglicherweise brauchten, aber für die zweite Dreheinheit hatten sie alle mit leichtem Gepäck reisen müssen. Leicht bedeutet billig, hatte er erklärt.
Zwischendurch setzte Mara sich immer wieder auf ihren Stuhl und beobachtete Schauspieler und Filmcrew bei der Arbeit. Die langsame, stetige Entwicklung der Handlung faszinierte sie. Lillian und Peter mussten die gleichen kleinen Sequenzen so oft wiederholen, bis Leonard zufrieden war. Es schien jedoch niemandem etwas auszumachen, obwohl Mara bemerkte, wie Carlton ab und zu verstohlen auf seine Uhr blickte. Alle Aufmerksamkeit war auf den Regisseur gerichtet. Er war leicht an seiner seltsamen Kleidung zu erkennen: Er trug eine rot gefärbte Arbeiterlatzhose. Selbst wenn die Leute miteinander plauderten oder sich an die offene Tür stellten, um in den Drehpausen kühlere Luft zu atmen, behielten sie ihn immer im Auge, um jederzeit auf seine Befehle reagieren zu können.
Je weiter der Tag fortschritt, desto besser verstand Mara den Rhythmus der Dreharbeiten. Es gab eine lange, langsame Vorbereitungsphase, in der Leonard eindringlich mit Lillian und Peter und dann mit Nick sprach. Nick redete seinerseits mit Brendan und dem anderen Nick, während Rudi zuhörte. Jamie schien überhaupt kein Interesse an den Vorgängen zu haben – der Tonmann beugte sich ständig nur über seine Geräte und studierte die Anzeigetafeln. Aber Tomba machte das wett, indem er den Worten Leonards aufmerksam lauschte.
Wenn Leonard alle Anweisungen gegeben hatte, herrschte eine halbe bis eine ganze Stunde lang hektische Aktivität, die schließlich in aufmerksame Stille mündete. Leonard blickte sich im Raum um und schien alle Energie aufzusaugen. Schauspieler und Crew standen still wie Statuen und warteten auf die Worte, die sie zum Leben erweckten.
Achtung. Ruhe bitte. Ton ab. Kamera ab.
Leonard sprach die Worte wie ein Priester. Und seine Gemeinde antwortete.
Ton läuft. Kamera läuft.
Leonard wartete immer bis zu genau diesem Punkt – es waren nur noch ein paar Sekunden, aber die Zeit schien sich zu dehnen –, bevor er schließlich das endgültige Signal für die Schauspieler gab. In dieser kurzen Zeitspanne begannen Lillian und Peter sich zu verwandeln. Mara konnte es förmlich sehen: ihr Gesichtsausdruck veränderte sich, und ihre Körperhaltung wurde anders. Wenn Leonard schließlich Action! sagte, war der Prozess abgeschlossen. Die beiden Personen vor der Kamera waren nicht mehr Lillian Lane und Peter Heath – sie waren Maggie und Luke.
In der langen Reihe von Szenen, die gefilmt wurden – alle in einzelne Aufnahmen aufgeteilt –, gab es Momente, die sich Mara unauslöschlich einprägten. Zum Beispiel, als Brendan einen Scheinwerfer einschaltete, den er sorgfältig vor Peters Gesicht plaziert hatte, und Peter auf einmal wieder aussah wie ein Filmstar, weil das weiche Licht seine perfekten Züge ausleuchtete.
Und dann die erste Szene, in der die Figuren sprechen mussten. Mara hatte sich vorgebeugt und überrascht die Armlehnen des Stuhls umklammert, als sie hörte, dass Maggie und Luke einen leichten irischen Akzent hatten.
Danach gab es eine Szene, in der Maggie und Luke leidenschaftlich miteinander stritten. Mara war in der Küche gewesen, um mit Menelik und Kefa abzuklären, ob für das Abendessen alles in Ordnung war. Sie war ins Zimmer zurückgekehrt, kurz bevor die letzten Vorbereitungen vor dem Filmen begonnen hatten. Es herrschte die übliche konzentrierte Atmosphäre, als Leonard Kamera und Ton abfragte. Dann gab er sein endgültiges Signal. Ohne Vorwarnung brach Maggie in einen Wutanfall aus. Sie marschierte im Esszimmer auf und ab und schrie Luke an – einmal verfing sich ihr Fuß sogar in einem der Leintücher, und beinahe wäre Rudis Bücherschrank enthüllt worden. Luke blieb zuerst ruhig, aber schließlich hob
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