Roter Hibiskus: Roman (German Edition)
Rasch stellte sie sich vor ihn, damit Lillian nicht sah, wie er das Blatt umdrehte und die Zeichnung erneut musterte.
»Wenn du fertig bist, Tomba«, sagte sie und streckte die Hand nach dem Blatt aus, »lege ich das Bild an eine Stelle, wo ihm nichts passieren kann.«
In diesem Moment kam Carlton aus dem Esszimmer. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß.
»Du wirst für die nächste Einstellung gebraucht«, sagte er zu Jamie. Dann wandte er sich an Lillian und lächelte ermutigend. »Leonard ist jetzt bereit für dich.«
»Schon?« Lillian zog die Nase kraus und legte ihren Skizzenblock beiseite. Stirnrunzelnd zog sie ihre Stiefel an. Aber als sie aufstand und zum Esszimmer ging, begann sich ihr Gesichtsausdruck zu verändern. Ihre Augen strahlten, und Vorfreude breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Mara sah ihr förmlich an, dass sie sich vorstellte, wie drinnen Regisseur und Crew auf sie warteten. Die Aussicht, wieder einmal im Mittelpunkt zu stehen, schien ihr neues Leben einzuhauchen.
Mara konnte Peter nirgendwo im Garten finden. Da sie für ihn verantwortlich war, eilte sie zu seinem Rondavel und klopfte an die Tür. Es blieb still, und sie spürte, dass die Hütte leer war. Sie wandte sich zum Gehen, dachte jedoch, dass sie, wenn sie schon einmal hier war, auch gleich nachschauen konnte, ob die Hütten-Boys das Bett gemacht und frisches Stroh in der chow- Hütte verteilt hatten. Als sie am Bett vorbeikam, sah sie, dass zwischen Kopfkissen und Nachttisch ein Bilderrahmen aus rotem Leder lag. Vermutlich reiste auch Peter, genau wie Lillian, mit einem Bild seiner Liebsten. Nur befand sich bei ihm das Bild dort, wo er es sehen konnte, bevor er einschlief.
Rasch blickte sie sich um, um sich zu vergewissern, dass sie immer noch allein war, und griff nach dem Lederrahmen. Sie drehte ihn um und erwartete halb, eine glamouröse, wunderschöne Frau zu sehen, eine Frau, deren Züge so perfekt waren wie seine.
Aber es war ein Familienfoto: zwei Erwachsene und vier Kinder, die in die Kamera lächelten. Sie standen vor einer vom Smog geschwärzten Marmorstatue, mit hohen Gebäuden im Hintergrund. Mara hielt das Bild ins Licht. Peter hatte den Arm um die Schultern einer Frau gelegt, die vermutlich seine Ehefrau war. Selbst auf diesem Schnappschuss konnte Mara erkennen, wie schön sie war – ihre cremeweiße Haut bildete einen starken Kontrast zum kräftigen Rot ihrer langen, lockigen Haare; ihre Augen waren leuchtend blau. Sie trug ein Kleinkind auf der Hüfte. Sie war kleiner als Peter und lehnte sich leicht an ihn, als ob seine Stärke sie anziehen würde. Die anderen drei Kinder standen vor den Erwachsenen. Es waren zwei blonde Jungen, die etwa drei und fünf Jahre alt waren, und ein etwas älteres Mädchen mit roten, lockigen Haaren. Die Hand der Mutter lag auf der Schulter des Mädchens, und Peters Arm hing über der Brust des kleineren Jungen, so dass seine Hand auf dem Herzen des Kindes lag.
Es gab unzählige solcher Bilder auf der Welt, das war Mara klar, aber dieses hier strahlte eine ganz besondere Faszination aus. Die kleine Gruppe wirkte so vollständig; man konnte das Band zwischen ihnen beinahe mit Händen greifen. Sehnsüchtig lächelnd betrachtete Mara die Fotografie. Sie erinnerte sie an die Familie ihrer Schulfreundin Sally McPhee. Sally, ihre Eltern und ihr Bruder waren alle begeisterte Reiter gewesen und waren jeden Samstag gemeinsam ausgeritten. Mara hatte sie zutiefst darum beneidet. In ihrer eigenen Familie gab es selten Zeit für etwas anderes, weil sie immer auf der Farm arbeiten mussten. Und selbst wenn sie einmal einen gemeinsamen Ausflug unternahmen – etwa zum Fischen oder an den Strand –, dann machten die Spannungen zwischen ihren Eltern es allen unmöglich, sich zu entspannen und den Tag zu genießen. Als Heranwachsende hatte Mara davon geträumt, eines Tages zu so einer Familie wie der von Sally zu gehören. Es gab ihr einen Stich, als sie daran dachte, dass John und sie mindestens zwei oder drei Kinder hatten bekommen wollen. Damals, als die Zukunft noch klar, hell und sicher vor ihnen lag.
Vorsichtig legte Mara den Rahmen wieder dorthin zurück, wo sie ihn gefunden hatte. Einen Moment lang verweilten ihre Fingerspitzen noch auf dem glatten roten Leder. Dann überprüfte sie rasch den chow -Anbau, bevor sie die Hütte wieder verließ.
Als Nächstes lief sie zum Parkplatz, falls Peter vielleicht etwas aus einem der Fahrzeuge geholt hatte. Während sie unter den Stoßzähnen
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