Roter Hibiskus: Roman (German Edition)
auch er seine Stimme. Sie stritten sich darüber, ob sie hierbleiben könnten oder ob sie nach Sansibar zurückkehren und sich dem stellen müssten, was sie zurückgelassen hatten. Die Vorstellung war erstaunlich realistisch – Maggies Gesicht war wutverzerrt, und Lukes ganzer Körper schien seine Frustration widerzuspiegeln. Schließlich begann Maggie verzweifelt zu weinen. Tränen liefen ihr über die Wangen, ihre Augen röteten sich, und ihre Lippen schwollen an. Mara starrte sie an. Sie sagte sich, dass die Emotion nicht echt war – es war schließlich nur ein Film –, und doch konnte sie Maggies Kummer förmlich spüren. Dann rief Leonard »Schnitt!«, und alles war vorbei. Lillian und Peter waren wieder ruhig und höflich und bereiteten sich für den nächste Aufnahme vor.
Mara wartete darauf, dass die Szene noch einmal gedreht würde, und wunderte sich im Stillen, wie die beiden es schaffen würden, sich ein weiteres Mal so emotional zu verhalten. Aber zu ihrer Überraschung – und Carltons unverhohlener Freude – sagte Leonard, es wäre nicht nötig. Er hatte genau das bekommen, was er wollte. Er wartete, bis Nick, der Kameramann, bestätigte, dass auch bei ihm alles gut geworden war, und dann schaute er in das zerlesene Drehbuch, das er sich vorn in die Tasche seiner Latzhose gesteckt hatte. Kurz darauf blickte er zu Mara hinüber und winkte ihr, sie solle zu ihm kommen.
Vorsichtig trat Mara über Brendans Kabel. Sie ging um das Stativ herum auf Jamie zu. Tomba hob die Tonangel, um sie durchzulassen – die Geste des Kriegers, der einen Speer trägt.
»Was brauchen Sie?«, fragte Mara Leonard.
»Sie«, antwortete er. Er blickte zu Rudi, der gerade eine Sturmlampe auf den Tisch stellte. »Wir müssen aufnehmen, wie Maggie das Ding anzündet.«
Mara nickte. »Soll ich Lillian zeigen, wie es geht?« Sie wusste, dass die Szene kommen würde, weil sie der Schauspielerin geholfen hatte, mit dem Schwamm Grundierung auf ihren Händen aufzutragen.
»Für die Weitwinkelaufnahmen, ja. Aber für die Nahaufnahmen möchte ich gerne Ihre Hände nehmen.«
Mara blickte ihn nervös an. Die Aufgabe war zwar einfach genug, aber sie fürchtete, dass sie unter den aufmerksamen Blicken all dieser Leute – vor allem unter dem dunklen Auge der Kamera – ungeschickt und unbeholfen agieren würde.
»Entspannen Sie sich einfach«, sagte Leonard, als könnte er ihre Gedanken lesen. »Wir haben alle Zeit der Welt. Vergessen Sie das alles hier.« Er machte eine Geste in den Raum. »Tun Sie so, als wären Sie allein.«
Kurz darauf saß Mara am Tisch vor der Laterne und einer Schachtel Streichhölzer. Das Licht von Brendans Scheinwerfern traf heiß auf ihre Haut. Der staubige Geruch der warmen Leintücher drang in ihre Lunge. Nick stand hinter ihr und hielt die Kamera über ihre Schulter auf ihre Hände gerichtet.
Als Mara aufblickte, sah sie Lillian. Die Schauspielerin saß in einem Stuhl, der so hingestellt worden war, dass sie Maras Bewegungen beobachten und sie später für die Weitwinkelaufnahmen nachmachen konnte. Peter stand nicht weit von ihr entfernt. Er schenkte Mara ein kurzes, ermutigendes Lächeln – und wandte sich dann taktvoll ab. Er ergriff ein Buch und blätterte es durch. Er hatte bestimmt verstanden, dass es sie nur noch nervöser machen würde, wenn er sie beobachten würde. Aber etwas in seiner Haltung – wie er den Kopf hielt – vermittelte ihr das Gefühl, dass er trotzdem seine Aufmerksamkeit auf sie gerichtet hatte.
Mara bekam einen trockenen Hals. Sie schluckte nervös und angespannt, während sie auf Leonards Anweisungen wartete. In der kurzen Pause, nachdem die Kamera eingeschaltet worden war, dachte sie daran, dass er ihr gesagt hatte, sie solle so tun, als ob sie allein wäre. Aber dann ging ihr auf einmal durch den Kopf, dass sie den Augenblick gar nicht so erleben wollte. Sie wollte vielmehr die Erfahrung genießen, im Mittelpunkt all dieser Aktivitäten zu stehen. Natürlich war ihr klar, dass sie nur einen winzigen Beitrag leistete, und es würde schnell vorüber sein. Aber für diesen einen Moment gehörte sie zu Leonards Mannschaft. Sie war nicht länger seine Safari-Gastgeberin – die Person, die zwar ein Kleid trug, aber nicht wie eine Frau behandelt wurde; die Frau, die zwar Europäerin war, aber nicht aus der gleichen Gesellschaftsschicht wie die Kunden stammte; die Ehefrau, die sich so verhalten musste, als wäre sie lediglich die Managerin des Camps und der Lodge ihres
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