Roter Hibiskus: Roman (German Edition)
zerquetschte Eidechse oder tote Ratte, die seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Als sie näher kam, sah sie, dass er einige Objekte betrachtete, die auf einem kitenge lagen, das über den Grasmatten ausgebreitet war. Kefa stand hinter ihm.
Beide Männer drehten sich um, als Mara näher kam.
Peter lächelte sie an.
»Guten Morgen«, sagte Mara.
Kefa warf ihr einen raschen, nervösen Blick zu und zeigte auf die Ansammlung von Holzschnitzereien: Tiere, kleine Figuren, Schalen und Geräte.
»Der Dorfschnitzer hat die Sachen gebracht …«, begann er zögernd. Aber dann reckte er das Kinn vor und fuhr kühner fort: »Es ist ein Souvenirladen. Daudi hat gemeint, unsere Lodge sollte einen haben.«
Mara zog die Augenbrauen hoch – nicht, weil er die Schnitzereien ohne ihr Wissen hatte hierherbringen lassen, sondern wegen seiner Wortwahl. Unsere Lodge. Mara stellte sich vor, wie wütend Bina werden würde, wenn ein Haus-Boy so etwas in ihrer Gegenwart sagen würde. Auch John wäre bestimmt schockiert. Aber Mara empfand eigentlich Erleichterung, als sie darüber nachdachte. Dann brauchte sie sich auch keine Nachlässigkeit mehr vorzuwerfen, wenn Kefa und Menelik allein Entscheidungen treffen mussten, während sie mit der Filmgesellschaft beschäftigt war. Sie arbeiteten hier alle Hand in Hand. Alle waren sie Chefs. Oder, eher vielleicht, keiner.
Kefa beobachtete sie schweigend und wartete auf ihre Antwort.
»Ich finde, das ist eine gute Idee«, sagte Mara, und es war die Wahrheit. Sie sah keinen Grund, warum die Dorfbewohner die Chance, etwas Geld zu verdienen, nicht nutzen sollten. Schließlich würde die Gelegenheit sich bestimmt nicht so bald wieder ergeben.
Kefa begann zu lächeln und entspannte sich sichtlich.
Peter beugte sich vor und ergriff ein Zebra. Es war aus goldgelbem Holz geschnitzt; die schwarzen Streifen, die Mähne und die Schnauze waren eingebrannt. Er reichte es Mara. »Ist es nicht wunderschön?«
Mara betrachtete es eingehend. Sie hatte bereits Arbeiten des Schnitzers gesehen. Seine Holztiere sahen so aus, als könnten sie jeden Moment über die Savanne davongaloppieren.
»Dieser Schnitzer hat das Vieh gehütet, als er ein Junge war«, warf Kefa ein. »Er hat die Tiere lange Zeit beobachtet. Er ist ein Fachmann.«
Peter ergriff eine andere Figur aus schwarzem Bauholz. »Sieht aus wie Ebenholz«, sagte er und strich mit den Fingern über die seidige Oberfläche. Er warf Mara durch die Haarsträhnen, die ihm über die Augen gefallen waren, einen fast schüchternen Blick zu. »Ich arbeite auch ein bisschen mit Holz.«
Mara erwiderte seinen Blick. »Deshalb haben Sie auch so starke Hände.« Sie biss sich auf die Lippe. Kaum dass sie die Worte ausgesprochen hatte, bereute sie sie auch schon. Sie klangen so persönlich, als ob sie ihn genau betrachtet hätte.
»Ich bin vom Typ her eher der Schrankbauer als der Schnitzer«, sagte Peter. »Ich habe schon das eine oder andere Möbelstück geschreinert. Aber wenn ich solche Dinge sehe, dann denke ich immer, ich sollte doch mal versuchen zu schnitzen – das heißt, wenn ich mehr Zeit hätte.« Er schenkte Mara ein wehmütiges Lächeln, bevor er sich wieder den Holzarbeiten zuwandte. »Ich versuche, Geschenke für meine Kinder auszusuchen. Ich kann mich nicht entscheiden. Was meinen Sie?«
Mara senkte den Kopf, um ihr Gesicht zu verbergen. Ihr Blick glitt über eine Giraffe mit eingebrannten Flecken und zwei wild aussehende Löwen mit offenem Maul. Aber sie sah sie kaum. Sie dachte an Peters Kinder – die Gesichter, die sie auf dem Foto gesehen hatte. Sie versuchte, jedes von ihnen mit einer Schnitzerei zusammenzubringen, aber es gelang ihr nicht. Sie hatte das beunruhigende Gefühl, dass ihr Körperschwerpunkt sich verlagerte – dass sie fiel und nicht wusste, wo sie ankommen würde.
Was war nur los mit ihr?, fragte sie sich. Sie bemühte sich, sich auf die Schnitzereien zu konzentrieren.
Fang mit den Jungen an. Was mögen kleine Jungen am liebsten?
Blicklos starrte sie auf die Figuren, und plötzlich erstarrte sie. Mit schockierender Klarheit wusste sie auf einmal, was sie so aus der Fassung gebracht hatte – der Gedanke an Peters Kinder weckte Schuldgefühle in ihr.
Sie fühlte sich schuldig, weil sie ihn am liebsten hier bei sich behalten hätte, während sie zu Hause mit ihrer Mutter auf seine Rückkehr warteten.
Ich will ihn für mich.
Mara hielt den Atem an. Entsetzt wies sie den Gedanken von sich. Aber sie konnte es nicht leugnen.
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