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Roter Regen

Titel: Roter Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moritz
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Augenblicke, ehe er entweder auf Angriff stellte oder sich in Deckung
flüchtete. Dabei war er ernsthaft bemüht, eine solide Beziehung zu Bärbel
aufzubauen.
    Er dachte kurz daran, Moshe zurückzumailen, aber er unterließ es.
Das Schreiben fiel ihm schwer. Er besaß nicht das Talent von Bärbel und
Swintha, die mit wenigen Worten Gefühle und Bilder in schriftliche Formen
gossen, um sich so mitzuteilen, dass sie nicht missverstanden wurden. Er
zauderte bei jedem Wort, das er schreiben wollte. Ihm fehlte der Rhythmus des
Geschriebenen, der Gedanken an Gedanken reihte und dann zum Ziel der Aussage
führte. Ein Wort konnte ihn schon ablenken, und er assoziierte Hunderte von
Bildern, die über ihn hereinbrachen und ihn verschlangen.
    Killian fuhr den Rechner in den Stand-by-Modus und zog sich seine
Jogging-Klamotten an. Er wollte raus, Luft und Sonne atmen, seine Gedanken in
Bewegung sammeln.
    Der Anblick war verheerend und gleichzeitig kraftvoll in seiner
Brutalität. Die Wassermassen hatten Rinnsale in den Löß gefressen, noch immer
sprudelte das Nass aus Löchern in der Erde, die es zuvor nie gegeben hatte.
    Killian machte sich ein Spiel daraus, beim Laufen keine nassen Füße
zu bekommen. Aber es war unmöglich. Verführerische Lößinseln heuchelten
Sicherheit und rutschten dann unter dem Tritt weg. Killians Füße waren längst
nass, aber er spielte weiter. Den Blick auf den Boden gerichtet hüpfte er von
Insel zu Insel und verlor sich in dem Spiel, bis ihn ein lautes Dröhnen
aufschreckte.
    Vor ihm bäumte sich ein riesiger Traktor auf. Er passte in das
apokalyptische Bild und erinnerte Killian an die Modellungeheuer, die Jack
Arnold in den Katastrophenfilmen der fünfziger Jahre verwendet hatte. Das
Ungeheuer dachte gar nicht daran, vor Killian Halt zu machen, und steuerte
stakkato hupend weiter auf ihn zu. Links konnte Killian nicht ausweichen, dort
versperrte ihm der Rain die Flucht. Also blieb ihm nur, sich nach rechts zu
werfen, wo eine tiefe gelbbraune Lache auf ihn lauerte.
    Der Traktor grub sich weiter seinen Weg durch den Löß. Vom
Führerhaus glaubte Killian das Gejohle eines siegreichen Banditenhauptmanns zu
hören. Er erhob sich aus der Lache und wischte sich das ockerfarbene Gemisch
aus dem Gesicht. Zornig starrte er auf die Schmiere, die von seinen
Fingerkuppen tropfte, und schwor Rache. Der Geruch des Rebbergs erinnerte ihn
an alte Schlachten, die hier einst ausgefochten worden waren. »Plaschtiker«
gegen »Aborigines«, wie die Arbeiterkinder die Ureinwohner des Kaiserstuhls
nannten.
    Killian sah, dass der Traktor etwa fünfhundert Meter weiter anhielt.
Jemand sprang vom Bock hinunter und verschwand rainabwärts zwischen den Reben.
Diese Gelegenheit wollte sich Killian nicht entgehen lassen. Geduckt näherte er
sich im Sichtschutz des Traktors. Seine Hände baggerten sich zwei Ladungen
breiiger Erde, die er seinem Widersacher ins Gesicht zu schleudern gedachte.
Danach würde er sich auf ihn stürzen und ihn in eine Lache tunken, dass er noch
eine Woche später den Löß zwischen den Backenzähnen kaute.
    Killian stand jetzt dicht hinter dem Traktor und entdeckte die
Person, die sich den durch den heimtückischen Regen verursachten Schaden der
Rebstöcke besah. Den Schädel des Halunken zierte ein grünes Kopftuch, das nicht
traditionell gebunden, sondern im Piratenstil geknotet war. Killian überlegte,
ob er sich in einer parallelen Rebzeile an ihn heranschleichen sollte, um ihn
dann aus nächster Nähe anzufallen, oder ob ein Sturmlauf die bessere Variante
wäre.
    Noch während er abwog, erkannte Killian mit Schrecken, dass sich der
hintere Teil des Traktors bewegte. Der Löß unter ihm gab nach. Nur noch wenige
Sekunden, und das Ungeheuer würde aus dem Gleichgewicht geraten und in die
Rebzeilen krachen. Killian berechnete in Windeseile die Sturzbahn des Traktors
und wusste, dass der Pirat unter dem Stahlvieh begraben werden würde. Sofort
stieß er sich von dem taumelnden Riesen ab und sprintete auf den Piraten zu.
Unter seinen Füßen spritzte der Schlamm und nahm ihm immer wieder den Halt,
hinter ihm ächzte bereits das Monster. Nur noch wenige Schritte bis zum
Piraten. Killian rutschte das Bein weg, er stolperte, rappelte sich wieder auf,
hechtete mit einem Riesensatz auf den Piraten und riss ihn mit sich fort,
während hinter ihnen fünf Tonnen Stahl hungrig kreischten und ins Leere
schlugen.
    Killian löste sich von dem Piraten, dessen Kopftuch durch den Sturz
verrutscht war. Darunter

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