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Roter Regen

Titel: Roter Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moritz
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er nirgendwo einen Schluck Wasser. Sein Blick fiel auf eine
Rebhütte, die zwei Raine oberhalb lag. Vielleicht gab es dort eine Regentonne.
    Er kletterte den ersten Rain empor, hielt sich an dem Baldrian fest,
der noch in Blüte stand, und zog sich dann nach Luft japsend am Stamm eines
jungen Faulbaums aufs Plateau. Sport hatte er lange nicht mehr gemacht, und
obendrein soff er wie ein bodenloses Fass. Objektiv betrachtet war er
Alkoholiker. Aber er besaß eine gute Konstitution, jedenfalls behauptete er das
von sich selbst. Jetzt, da er sich wie ein Hecht am Ufer krümmte und nach Luft
schnappte, zweifelte er allerdings daran. Es war dieser verdammte Job. Der
Außendienst machte ihn so fertig. Und das nur weil Belledin dachte, er tue ihm
einen Gefallen damit. Wagner hatte vorher schon gerne getrunken, aber seitdem
er mit Belledin an der Front war, hatte sich sein Alkoholkonsum verdreifacht.
Und mit ihm waren die Depressionsphasen gestiegen. Warum musste der köstliche
Mirabellenschnaps solche hinterlistigen Nebenwirkungen haben?
    Wagner blickte den nächsten Rain empor und feuerte sich aufmunternd
an: »Hopp Schwyz!« Dann nahm er Anlauf und zwang sich auch diesen Hang hinauf.
Es schien ihm, als ob er währenddessen vergaß, Atem zu holen. Umso mehr keuchte
er, als er seine persönliche Nordwand erklommen hatte. Ihm wurde schwindelig,
und er sank auf die Knie. Dann raffte er sich aber wieder auf und kämpfte sich
durch das hohe Gras zu der Rebhütte, in der er das ersehnte Wasser wähnte.
    Tatsächlich befand sich in dem Bretterverschlag eine Tonne, in die
eine Regenrinne vom Wellpappdach führte. Wagner schleppte sich hin, nicht ohne
mehrere Male zu straucheln. Selten hatte er so ein Durstgefühl verspürt. Die
Septembersonne stach ihn, als halte jemand ein Brennglas zwischen ihn und dem
Fixstern. Endlich erreichte er das angerostete Objekt der Begierde und zog sich
daran hoch, um den Kopf hineinzutauchen.
    Aber Wagners Enttäuschung war grenzenlos. Das Fass war leer. Bis auf
den Boden. Boden? Hatte es überhaupt einen Boden? Wagner vergaß seinen Durst
über die Frage. Er rückte die Tonne zur Seite und bemerkte, dass es sich nur um
eine Röhre handelte, die einen Schacht verlängerte. Vielleicht ein Brunnen? Er
kniete sich hin und suchte nach einem kleinen Stein, den er in den Schacht
warf. Er lauschte. Der Stein schlug trocken auf. Kein Plätschern. Wagner
fluchte und hämmerte wütend mit der Faust auf den Boden. Dies hätte er aber
besser nicht getan. Der Löß am Rand des Schachts gab durch die Erschütterung
nach, Wagner brach mit einem Stück Erde ab und stürzte den Schacht hinab.
    * * *
    Anna Popescu war kampfbereit. Ihre schlanken Beine steckten in einer
engen Jeans, schwarze Laufschuhe gaben ihr die nötige Mobilität, und über ein
schwarzes, eng anliegendes T-Shirt hatte sie sich eine abgewetzte
Motorradlederjacke geworfen. Ihr Haar hatte sie mit einem einfachen Gummi
gebändigt, ihr Gesicht war ungeschminkt.
    Sie hielt ihre halbautomatische Ruger MKII mit Schalldämpfer in der Hand und ging langsam auf die
Besenkammer zu. Sie würde die Tür nicht öffnen, sondern hindurchschießen. Wenn
Lupescu wusste, dass der Kriegsfotograf ihnen auf den Fersen war, so konnte es
auch Belledin mittlerweile erfahren haben.
    Am einfachsten wäre es, durchs Schlüsselloch zu schießen. Bei einem
Schuss durch die Tür bestünde die Gefahr, dass die Kugeln abgelenkt wurden.
Anna stellte sich neben die Tür, zog leise mit der freien Hand den Schlüssel
aus dem Schloss und führte den Lauf des Schalldämpfers an das Schlüsselloch.
Dann drückte sie dreimal ab. Sie vernahm einen Aufschrei, dann war Stille.
Vorsichtig zog sie die Tür auf. Belledin lag regungslos zwischen einem Mopp und
zwei Gummistiefeln.
    Anna näherte sich ihm vorsichtig und griff in seine Jackentasche.
Sie war zu gierig, einen Moment lang war sie der Kutscher, der sich nur am Raub
der Figuren erfreute und somit in die Falle tappte. Kaum hatte sie das Foto aus
Belledins Jacke gezogen, da packte dieser ihren Arm, der die Pistole hielt, und
schlug ihn heftig gegen den Türrahmen. Anna schrie laut auf, die Pistole
schepperte zu Boden. Sie war aber geistesgegenwärtig genug, dem kauernden
Belledin einen Tritt ins Gesicht zu geben, sich seinem Griff zu entziehen und
aus der Wohnung zu entfliehen.
    Bis auf den schmerzhaften Tritt war Belledin unverletzt.
    Als er bemerkt hatte, dass sich das Schlüsselloch verdunkelte, war
er leise aufgestanden und hatte

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