Roter Regen
Anke Prückner
herausgefunden, sondern noch mehr. Und deswegen wusste er, dass er Anna Popescu
nicht hinterherrennen musste, denn sie würde zu ihm kommen. Er wartete geduldig
hinter dem Schreibtisch in Hartmanns Praxis. Er hätte gerne Belledin
dabeigehabt, aber da der nicht an sein Telefon ging, war es vielleicht klüger,
ihn nicht mehr anzurufen. Nachdem Killian von Moshe erfahren hatte, dass
Lupescu bereits gestern am Flughafen in Frankfurt gelandet war, war es möglich,
dass der Kommissar in Lupescus Gewalt war, und der konnte ihn zwingen, Killian
eine Falle zu stellen.
Ein Agent des Mossad, den Lupescu geschmiert hatte, arbeitete
nämlich nicht wirklich für Lupescu, sondern war ein lupenreiner Doppelspitzel,
den sich der israelische Geheimdienst leistete. Die Gelegenheit, Lupescu in
Deutschland zu fassen, war günstig. Sollte er wieder nach Rumänien entwischen
können, wäre erneut einer der größten Schurken des organisierten Verbrechens
durch die Maschen geschlüpft.
Lupescu wurde bereits vom BKA observiert. Sobald sich eine Möglichkeit bot, würden sie ihn festnehmen. Aber
zuerst mussten sie Anna Popescu schnappen, damit sie als Kronzeugin gegen ihn
aussagen konnte. Sie bekäme dafür eine neue Identität, obwohl sie sicherlich
auch einiges auf dem Kerbholz hatte. Aber Lupescu das Handwerk zu legen war den
Handel wert. Das meinten jedenfalls die Verantwortlichen hinter den Kulissen.
Killian verabscheute diese Geschäfte, aber sie waren Alltag. In der
Schattenzone der internationalen Politik wurde geschachert wie um Auberginen
auf dem Basar zu Istanbul. Deswegen war es auch besser, dass Belledin nicht
dabei war. Er hätte es nicht verstanden. Killian musste die Sache allein
erledigen. Am besten ohne Gewalt, nur mit reiner Überzeugungsarbeit. Das BKA vertraute ihm. Man hatte schon
häufiger erfolgreich zusammengearbeitet. Zweimal schon hatte Killian die
Beamten der inneren Sicherheit mit Fotos aus dem Ausland versorgt, die deutsche
Lobbyisten mit internationalen Waffenschiebern zeigten. Und beide Male konnten
die deutschen Drahtzieher verhaftet werden.
Die Experten wussten selbst, dass der kleinste Verdacht eines
Hinterhalts Anna Popescu warnen würde, und dann kämen sie um eine laute
Verfolgung nicht mehr herum; das würde Öffentlichkeit und Presse bedeuten, die
niemand gebrauchen konnte. Anna Popescu wäre dann nicht mehr so leicht vom
Tablett zu holen. Und wenn der Handel funktionieren sollte, durfte niemand
wissen, dass es sie überhaupt gegeben hatte; allenfalls die Dossiers des
Mossad.
* * *
Es fuchste sie noch immer, dass sie das Naheliegende übersehen
hatte. Aber sie versuchte ihr Temperament zu zügeln, als sie in Bötzingen in
die Rathausgasse einbog. Sie durfte jetzt auf keinen Fall zur Gräfin werden,
die ihre Emotionen nicht im Griff hatte.
Anna parkte den Mercedes und besah sich vom Auto aus die Straße.
Belledin traute sie zwar nicht zu, dass er sie hier vermutete, aber sie kannte
diesen Kriegsfotografen nicht, von dem Lupescu erzählt hatte. Sie hatte es mit
einer Unbekannten zu tun, da musste sie vorsichtig sein.
Die Luft schien rein. Weder ein unauffälliger Handwerkertransporter
noch zufällige Liebespärchen oder Mütter mit Kinderwägen. Noch nicht einmal
eine fingierte Baustelle, die ihren Verdacht hätte erwecken können.
Anna stieg aus dem Wagen und ging auf den Sechziger-Jahre-Bau zu, in
dem sich Hartmanns Praxis befand. Das letzte Mal war sie hier gewesen, als sie
Hartmann um die Herausgabe der Liste gebeten hatte. Leider war er stur geblieben.
Sie wollte ihm Aufschub geben, das war ein Fehler gewesen. Jemand anders hatte
ihn getötet und vermutlich die Liste gestohlen. Aber vielleicht war sie doch
noch da? Sie musste es versuchen.
Lautlos stieg sie über die Marmortreppen nach oben. Mit einem Nachschlüssel
öffnete sie die Tür der Praxis und trat vorsichtig und geräuschlos ein.
* * *
Belledin heizte mit Blaulicht auf dem Beifahrersitz des
Streifenwagens durch die braunen Maisfelder, die die Landstraße zwischen
Gottenheim und Bötzingen säumten. Er hatte Wagners Funkspruch vernommen. Zwar
hatte er kurz gestutzt, wie schnell Anna Popescu von Freiburg an den
Kaiserstuhl gelangen konnte, aber er traute ihr alles zu. Wenn man richtig Gas
gab, konnte man es in fünfzehn Minuten auch tatsächlich schaffen.
* * *
Margit keuchte. Die Grippe machte ihr zu schaffen, ein erneuter
Hustenanfall ließ sie gelben Schleim aus den Bronchien spucken. Sie schaute
sich
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