Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
Vom Netzwerk:
hinab. Die Frau kreischte auf unter
ihrem Griff.
    »Sprich«, sagte die Söldnerin leise. Für Lee
war es wie ein Donnern.
    »Wir… wir müssen weg. Ein wilder Sturm ist
unterwegs. Yaks! Tausende und Abertausende…«
    Die Aufmerksamkeit des Colonels flackerte, und Lee trat heran und
nahm dem Mann so leicht die Pistole aus der Hand, als nähme er
einem schlafenden Kind das Spielzeug ab.
    Mary Makepeace Gaia tauchte auf den Boden hinab und wälzte
sich so rasch, daß sie bei normaler Zeit ein verschwommener
Fleck gewesen wäre. Sie wälzte sich erneut herum und kam
hinter der teilweisen Deckung einer blühenden Yucca in einem
großen Tontopf empor. Sie hatte ihre Pistole in der Hand.
    Lee bewegte sich ebenfalls, ohne nachzudenken. Er wirbelte den
Colonel herum, gerade als die Söldnerin feuerte. Der Colonel
kreischte (ein polterndes Basso profundo), und bewegte langsam die
Hand, um den verwundeten Arm zu umfassen. Der Ärmel seiner Jacke
brannte. Ebenso das Material des Zelts hinter ihm.
    Die Pistole der Söldnerin folgte rasch und ruckweise, und Lee
trat vor und zurück, schüttelte den unseligen Colonel
hierhin und dorthin. Lee war mit Adrenalin vollgepumpt. Alles
außer der Hand der Söldnerin, dem nadelfeinen Loch im
Zentrum des dicken Pistolenlaufs, war ein unbeachteter verwischter
Fleck.
    Die Söldnerin schoß erneut. Der Strahl streifte den
Colonel am Kopf. Er schauderte und sackte zusammen, soviel totes
Gewicht. Sein Haar fing Feuer. Ein Ruck, und das nadelfeine Loch war
direkt auf Lees Gesicht gerichtet.
    Lee ließ den Körper des Colonels fahren und
schloß die Augen. Er konnte nichts dagegen tun. Er konnte das
Hämmern seines Herzens nicht vom Hämmern des wilden
Ansturms unterscheiden. Beides schüttelte ihn
gleichermaßen.
    Die Söldnerin kreischte, ein leiser, halbverschluckter Laut.
Lee öffnete die Augen. Die Söldnerin hatte ihre Pistole
fallengelassen. Ihre hohle Hand lag unterhalb der zerbrochenen
rechten Linse ihrer Video-Blenden. In rascher Folge blitzten Farben
auf, und Glas splitterte um das Ende des toten Metallstachels, dem
Zentrum der Linse.
    Die hohle Hand der Söldnerin füllte sich mit Blut; Blut
lief ihr am Handgelenk herab.
    Chen Yao schrie Lee ins Gesicht, daß es an der Zeit sei zu
gehen. Sie mußte zweimal rufen: der Ansturm der Tiere hatte sie
fast erreicht. Lee ließ den Körper des Colonels zu Boden
fallen. Das Zelt war erfüllt vom Gestank verbrannten Fleischs
und dem scharfen Geruch nach verbranntem Haar. Das Jungen-Ding hatte
sich auf einer Seite zusammengerollt und umklammerte seine blutige
Kehle. Dr. Damon Lovelace lief in Zeitlupe auf den Schutz des
Wohnwagens zu.
    Lee hob die Pistole des Colonels. Die Seite des Zelts flog in
einem Flackern heißen Lichts davon. Roter Staub wirbelte herein
und bedeckte Lee und Chen Yao. Dunkle Gestalten bewegten sich in der
Düsternis dahinter. Der Boden bebte. Lee hob Chen Yao in die
Arme und lief in den wilden Sturm hinein.

 
     

----
46
     

----
     
     
    Trotz seiner angetörnten Nerven und turbogeladenen Muskeln
wäre Wei Lee zweimal fast von dahinjagenden Yaks niedergerannt
worden, ehe es ihm gelang, Chen Yao in den relativen Schutz eines
Stands von Dornbüschen zu tragen, die im Winkel einer
umgekehrten Muschel roten Felses wuchsen.
    Er setzte Chen Yao ab, warf sich neben sie und hustete und hustete
und hustete. Er konnte den Staub den ganzen Weg bis tief hinab in
seine Lungen schmecken. Was er ausspuckte, war rot wie Blut.
Fünfzig Prozent der Luft schien erfüllt von feinem Schlick,
den die stampfenden Hufe der durchgehenden Yaks aufwirbelten.
    Ein Yak schwenkte so geschickt wie ein Tänzer um die Felsen.
Einer seiner Hufe wäre fast auf Lees Fuß getrampelt, aber
seine schnelleren Reaktionen ließen ihm genügend Zeit, das
Bein wegzuziehen, die rollenden, rotgeränderten Augen des Tieres
unter den hervorspringenden Hörnern zu bemerken sowie jeden
nadelstichartigen Spritzer von Flüssigkeit auf seinem Gesicht
spüren, der orangefarbene Schaum, den der Yak von seiner
Schnauze schüttelte. Er teilte seine verwirrte Wut und schrie
sie in den Staub hinaus.
    »Die ganze Zeit über, da ich nach meinen Eltern gesucht
habe, glaubte ich zu wissen, wer sie waren! Jetzt habe ich sie
gefunden, aber ich kenne sie überhaupt nicht!«
    Ein weiterer Yak kam vorüber, langsam und stetig inmitten
sich dahinwälzenden roten Staubs. Und noch einer. Und noch
einer. Sie verwandelten die Welt in Staub und Donner.
    Lee drückte sich in die Büsche,

Weitere Kostenlose Bücher