Roter Staub
Anzeichen von ihr.
Lee blieb stehen, außer Atem und benommen erfrischt. Es war
Zeit, sich wieder zurechtzufinden. Chen Yao riß ihre Hand aus
der seinen, und zur selben Zeit vernahm er ein meckerndes Winseln,
das in der Ferne stieg und fiel.
Es war ein Elektromotor, der unter Druck kreischte.
Chen Yao trat Lee ins Schienbein. Er sprang überrascht
zurück. Sie trat erneut, erwischte ihn unter der Kniescheibe,
und seine Beine gaben unter ihm nach, und er setzte sich in einen
Haufen Yakmist. Chen Yao packte ihn an den Ohren und schrie ihm ins
Gesicht.
»Du willst nicht zuhören! Du willst einfach nicht
zuhören!«
Lee blinzelte zu ihr hinauf, lächelte erstaunt. Chen Yao
zitterte vor Zorn. Tränen bildeten schlammige Spuren in dem
roten Staub, der ihr Gesicht bedeckte.
»Wir waren dort in Sicherheit, wo wir uns befunden haben.
Dort erwartet uns jemand, der uns mitnehmen kann! Wie kann er uns
finden, wenn wir in der Gegend herumstolpern?«
Lee versuchte aufzustehen, setzte die Hand in weitere
Yakscheiße und stürzte wieder, beschmierte sich noch mehr
mit dem stinkenden grünen Schleim.
»Hör mal!« sagte Chen Yao.
Lee benötigte seine hyperscharfen Sinne nicht, um das
meckernde, moskitohafte Greinen zu hören. Es wurde leise, dann
laut, schwächte sich dann wieder ab, kreiste davon, kreiste in
einem unvorhersagbaren Muster zurück.
Chen Yao sagte: »Du hörst es? Du hörst das?«
Sie blickte sich um, spähte hierhin und dorthin in den wogenden
Staub. Schließlich sagte sie: »Hier entlang. Beeil dich,
ehe sie uns einholt!«
Sie lief los, ehe Lee auf die Füße kommen konnte, aber
es war das x-beinige Rennen eines kleinen Mädchens, und er
konnte sie mühelos einholen.
»Wohin gehen wir?«
»Wir laufen weg. Vor ihr, vor der Schwester. Der Schwester
deiner… deiner Freundin. Miriams Schwester.« Chen Yao war
bereits außer Atem. Ihre Worte kamen in ärgerlichen
kleinen Zuckungen. So einen Ausdruck hatte Lee noch nie bei einem so
jungen Menschen gesehen. »Ich hätte sie töten sollen.
Aber es wäre ein böses Karma gewesen. Oh, bitte! Komm schon!«
Da war’s, daß Lee das meckernden Greinen weit hinter
ihnen von rechts nach links kreuzen hörte, und es wurde lauter,
kam näher.
Chen Yao lief jetzt schnell; Lee konnte kaum mit ihr Schritt
halten. Sie rief: »Staub hilft, uns zu verbergen, aber sie sucht
willkürlich. Und nicht zu Fuß.«
Dann verschwand sie außer Sicht, und Lee trat auf dünne
Luft und stürzte mit einem Übelkeit erregenden Rutschen
einen tiefen Abhang hinab. Er kam wenige Meter vor dem Kadaver eines
Yaks zum Stehen; eine kleine Steinlawine prallte von seinem
Rücken ab.
Chen Yao packte ihn am Arm, zog ihn hinab. Etwas hatte den Yak
halb ausgeweidet – vielleicht nur der Sturz –, und Lee war
von Blut getränkt, als er sich mit Chen Yao in den rauhen
stinkenden Pelz drängte. Ein Gewirr glitschiger Eingeweide
drückte sich gegen seinen Rücken, so heiß wie seine
Haut. Der intensive Gestank halbverdauter Vegetation stieg von den
ausgelaufenen Gedärmen des Kadavers auf.
»Ruhig«, sagte Chen Yao. »Sie ist ebenso wie du
verdrahtet.«
Lee verstand. Im selben Augenblick vernahm er das Moskitogreinen
über sich und hielt den Atem an, zwang sich dazu, mit dem
Infrarot-Abbild des Kadavers eins zu werden.
Die Zeit verstrich. Lee und Chen Yao drückten sich unter
blutigen Yakpelz wie Mäuse in einem Getreidesilo, während
die Katze irgendwo umherstreift. Lee spürte, wie irgend jemandes
Aufmerksamkeit wie ein Suchscheinwerfer über ihn hinwegstrich:
es ließ ihm die Haare zu Berge stehen.
Einen Augenblick lang wurde das Greinen lauter, dann leiser;
schließlich verschwand es in der Ferne.
Chen Yao zählte unterdrückt Delphine, wie ein Kind, das
den Kaiser auf dem Hügel spielte, und als sie einhundert
erreicht hatte, sagte sie, sie wären in Sicherheit. Sie
stolperten aus ihrem schauerlichen Schutz in wehenden Staub hinaus,
der an ihren blutigen Kleidern kleben blieb und sie steif machte.
Lee sah jetzt, daß der tote Yak auf dem Grund eines schmalen
Spalts lag. Durch den dichten Schleier sah er die geisterhaften
Formen von trockener Vegetation, die inmitten flacher, vom Wasser
abgeschliffener Steine stand – in der kurzen Regenzeit des
Spätsommers wäre dies das Bett eines schäumenden
Flusses.
Chen Yao kletterte den Hang hinauf, und Lee folgte. Sie stand
bereits oben, drehte den Kopf hierhin und dorthin. »Da«,
sagte sie schließlich und setzte sich in Trab.
»Ich glaube,
Weitere Kostenlose Bücher