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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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starben und verwandelten sich
wieder in Wüsten.
    Der Gleiter befuhr die östliche Spur der breiten
Wasserstraße, folgte der Reihe von Bojen, die grün aus dem
sich ansammelnden Staub blinzelten. Andere Gleiter bewegten sich
langsam über die verstopfte Straße. Sie schnitten mit
rasiermesserscharfem Bug durch treibende Inseln von Wasserhyazinthen,
Ansammlungen von Azolle und Matten von Cyanobakterien.
    Lee saß an der Heckreling des Gleiters und nippte Jasmintee
aus einer Schale, die groß genug gewesen wäre, um sich
darin das Gesicht zu waschen. Er hatte die Stiefel ausgezogen, denn
jeder ging barfuß auf dem Weißholzdeck, sogar Redd, der
auf dem hohen Mitteldeck stand und mit dem Kapitän unter dem
Sturmdeck sprach. Beide Männer wurden von unten durch das blaue
Licht der Konsole beleuchtet. Der Kapitän des Bootes, ein
wettergegerbter Tibeter, hatte Lee und Chen Yao bereits mit einer
kurzen, jedoch förmlichen Zeremonie begrüßt, aber es
war klar, daß er Dringenderes zu überlegen hatte, als es
seinen Passagieren gemütlich zu machen. Er mußte sich in
den Lokal- und Fernverkehr einfädeln, an der
Satellitenüberwachung vorbei in die weiten Wüsten der
Staubseen kommen.
    Da er nichts weiter zu tun hatte, als die grünen und roten
Lichter der Schiffahrtsstraßen und die sich bewegenden Lichter
anderer vorbeitreibender Gleiter zu beobachten, fiel Lee bald in
Schlaf. Er erwachte in einem gespenstischen Sonnenaufgang aus einem
Traum, in dem Mary Makepeace Gaia ihn durch ein Labyrinth roter, von
Staub verstopfter Canyons beschlichen hatte, ihre Augen Spiegel, ihre
Hände weiße Flammen. Er hatte Kopfschmerzen und einen
trockenen Mund. Jemand hatte ihn während des Schlafs in eine
schwere Yakhaut gehüllt: jedes der langen Haare hatte an der
Spitze einen Rubin aus Rauhreif. In der Nähe schlief Chen Yao
unter einer weiteren Haut; nur ihre schimmernde schwarze Haarkappe
zeigte sich.
    Der Gleiter segelte noch immer ostwärts. Dämmerlicht
schwächte die Lichter der Schiffahrtsstraßen ab, machte
aus dem Haufen von Gleitern auf dem Kanal Silhouetten. Es warf Lees
Schatten eine weite Strecke über das Weißholzdeck, als er,
eingehüllt in seine Decke aus Yakhaut, steifbeinig zur
Brücke ging.
    Kapitän Jigme Tsatar war an seiner Konsole. Ein kleiner,
stämmiger, rundlicher Mann mit einem Hauch von
unerschütterlicher Kompetenz. Er trug eine kompliziert
geflochtene Jacke und lose Baumwollhosen.
    Ein breitrandiger Filzhut war tief in die Stirn gezogen, so
daß die kleinen, nahe beieinander liegenden Augen und die
formlose Knubbelnase im Schatten lagen. Er sagte Lee, daß eine
achtzigprozentige Chance dafür bestünde, die Ichun-Schleuse
am Ende des Kanals zu erreichen. Die Dinge standen schlecht in der
Hauptstadt, und die Revolution des Kleinen Vogels nahm den
größten Teil der Aufmerksamkeit der
Sprachrohr-des-Volkes-Armee in Anspruch; noch wichtiger: sie hatte
die Kräfte zerstreut, die gegen Lee arbeiteten.
    »Ich bin dankbar, daß Redd solche Freunde wie dich
gefunden hat«, sagte Lee. Schmeicheln tat niemals weh, selbst
wenn der Kapitän sicherlich den Wert dessen kannte, was er getan
hatte.
    Aber Kapitän Tsatar wischte das vom Tisch. »Der Yankee
möchte Bezahlung für den Transport von dir und dem kleinen
Mädchen-Gott. Wir haben ihm gesagt, er kann sie haben, wenn wir
Ichun erreichen. Ein Herdenboß namens Falke hätte euch
eigentlich zu den Fischern bringen sollen, aber die Dinge haben sich
am Ende anders entwickelt. Es ist nicht deine Schuld, daß Falke
umgedreht worden ist.«
    »Vielleicht habe ich den falschen Leuten vertraut.«
    Kapitän Tsatars Gesicht verriet nichts. So anders als Redd,
dessen Gesicht ein beständiger Sturm halbverborgener
Gefühle war, deren Bedeutung Lee oftmals nur erraten konnte. Der
Kapitän sagte: »Und dennoch bist du schließlich hier.
Niemand hätte es besser machen können. Wenn der Wind
anhält, haben wir einen Tag, um dich zu unterrichten. Und falls
nicht, nun, dann haben wir sogar noch mehr Zeit – wenn uns
unsere Feinde nicht finden.«

 
     

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49
     

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    Lees Unterricht begann nach einem Frühstück aus Doupi, gehacktem Gemüse in frittierter Bohnengallerte.
Sein Lehrer war ein dünner asketischer Yankee namens Soldat.
Soldat hatte eisengraues Haar, ein dünnes Gesicht, das alle
Knochen darunter zeigte, Stahlzähne und einen
unerschöpflichen Vorrat an Schimpfworten. Zwölf Stunden
lang, von der Morgen- bis zur Abenddämmerung, lehrte er Lee die
Rudimente

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