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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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eines halben Dutzends Kampftechniken – Tae Kwon Do,
die Fünf Tierstile des Shaolin-Tempels (die bevorzugte Soldat
besonders), Karate, Choy Li-Fut, den Gebrauch des Messers und des
Bauernspießes. Sie hörten nicht einmal dann auf, als der
Gleiter anlegte, unter dem vielbögigen Baldachin eines
gigantischen Banyan Schutz vor einer Friedenstaube suchte, die den
breiten Kanal eine Stunde lang patrouillierte, ehe sie sich wieder
zurück zur Hauptstadt wandte.
    Lee entdeckte, daß er jede Bewegung einer Kampfsequenz
abspeichern und sie, bei einem Angriff, wieder durchspielen konnte,
ohne nachzudenken. Bald war es eher Soldat als er selbst, dessen
Rücken, Schulter oder Hüfte die dünne Baumwollmatte
traf, die auf dem Weißholzdeck ausgelegt worden war.
    Schließlich erklärte sich Soldat für zufrieden.
»Es wird’s tun müssen«, sagte er. Sie verneigten
sich voreinander und rollten die Matte auf, gerade als der letzte
Splitter Sonnenlicht blaue Lichtblitze um den halben Horizont herum
aussandte und darunter verschwand.
    Chen Yao war wieder in ihre Rolle als Avatar auf dem Boot
eingesetzt worden. Während Lee sein Training bekommen hatte,
hatte sie unter einer Plane gesessen, an süßen
Reisbällen geknabbert und saure Milch getrunken, während
sie zusah, wie Dorfruinen und Mangrovensümpfe an Steuerbord und
andere Gleiter an Backbord vorüberzogen.
    An jenem Nachmittag war eine Schule Flossler in der Nähe des
Boots aufgetaucht. Sie waren auf der Bugwelle geritten und hatten
sich dann zurückfallen lassen, um mit Chen Yao zu plaudern. Lee
konnte fast verstehen, was sie sagten; oder er konnte es sich
wenigstens, verlangsamt, nochmals anhören und Worte aus dem
Geplapper herausfiltern. Nur Chen Yao konnte dem Ganzen Sinn
entnehmen.
    Was die Flossler mitgebracht hatten, waren Neuigkeiten. Chen Yao
übersetzte sie. Der größte Teil der Stadt stand unter
marsianischem Gesetz. Herumstreunende Banden hatten Teile des
Yankee-Viertels geplündert, und des Nachts gab es
regelmäßig Feuergefechte. Flüchtlinge
bevölkerten die Essensausgaben; die Sprachrohr-des-Volkes-Armee
hielt sie davon ab, weiterzuziehen.
    Jeder auf dem Boot hörte zu, als Chen Yao dies
wiedererzählte, und es wurde über Blinksignallampen an
andere Boote weitergeben.
    Wenn sich Chen Yao wegen ihrer Familie Sorgen machte, ihren
Leuten, so zeigte sie davon kein Anzeichen. Der Aspekt ihrer Gottheit
verlieh ihr die Gabe, die Welt ruhig hinzunehmen, wie bei einem
wahren Bodhisattva. Die Mannschaft des Gleiters brachte ihr
Wasserhyanzinthen, die sie sich ins Haar wand. Im Sternenlicht und in
den farbigen Punkten der umlaufenden Lichter des Gleiters bildeten
die verwelkenden Blumen eine schimmernde Konstellation oberhalb ihres
Gesichts, als sie, ernst und ruhig, Lee lehrte, wie er die Funktionen
seines neu verdrahteten Nervensystems aufrufen, in den Hypermodus
hinein- und wieder hinausgehen, seine Hör- und Sehschärfe
willentlich abstimmen, die autonomen Funktionen seines Körpers
kontrollieren konnte.
    Obgleich die Sendungen des ›King of the Cats‹ inzwischen
nicht mehr gestört wurden, tat er nichts weiter, als Musik zu
spielen, und Miriam schlief wie ein Mangrovensamen in der schlammigen
Dunkelheit von Lees Schädelbasis.
    Das Ende des langen harten Tags hatte Lee mit einem Gefühl
eines abgespannten Wohlbefindens zurückgelassen. Er war
müde, jedoch nicht erschöpft. Mit Infrarotsicht konnte er
die geschmückten Umrisse des Gleiters genießen,
während dieser vor dem Nachtwind lief. Sein Segel wellte sich,
als Brisen sich erhoben und abflauten und computerkontrollierte
Winschen das halbintelligente Material verschieden spannten, um jeden
Dyn zu gewinnen.
    Der Gleiter spiegelte seine Funktion perfekt in der Schönheit
seiner Form wider. Er war einhundert Jahre alt. Er wurde der Schwarze Drache genannt.
    Redd fühlte sich beim Segeln nicht wohl, und er versuchte
noch immer, sich davon zu überzeugen, daß er auf der
richtigen Seite war. »So lange es gegen die Eigentümer
geht, wäre das okay«, sagte er. »Hab’
Eigentümer nie gemocht. Leute wie Falke, die glauben, ihnen
gehören die Weiden… niemand besitzt wirklich das Land. In
Wirklichkeit ist es das Land, das dich besitzt.« Redd summte
einige Takte von ›Don’t Fence Me In‹; es bildete einen
merkwürdigen Kontrapunkt zu Oscar Toneys ›Precious
Love‹, das dank seines aufgemöbelten Nervensystems in
sauberem Stereo-Sound direkt innerhalb von Lees Kopf erklang.
    Er und Redd saßen am

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