Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
Vom Netzwerk:
herum
fanden, aber es verschaffte den Stadtbewohnern wenigstens etwas zu
tun.
    Der Korporal war mit Lee einer Meinung. Er hatte sich erbittert in
sein Schicksal ergeben. Wie alle in der Garnison war er nicht
innerhalb eines Umkreises von tausend Kilometern um Ichun geboren,
und er plante nicht, dort begraben zu werden. »Aber nur die
Glücklichen oder die Reichen können wählen, wo sie
sterben wollen, und nur die Herren der Zehntausend Jahre, wann sie
sterben wollen.«
    »Das mag nicht mehr länger stimmen.«
    »Wir hören Gerüchte«, sagte der Korporal. Er
lächelte. »Du hast wirklich jene Aufstände in Gang
gesetzt?«
    »In gewisser Weise. Aber der Aufruhr ist entstanden, nachdem
die Sprachrohr-des-Volkes-Armee rechtmäßige Bittsteller
auf dem Platz des Himmlischen Friedens angegriffen hat. Ihre Herren
haben Elitetruppen gegen unbewaffnete Bürger
geschickt.«
    »Krieg ist keine Übung im Stricken«, sagte der
Korporal grimmig. »Ich schätze, sie werden
Streitrösser gegen uns schicken, sobald wir von den
Friedenstauben mürbe gemacht worden sind. Diese
Verteidigungsanlagen werden gegen einen Stoßangriff nichts
nutzen, aber wir können uns zum Hauptplatz zurückziehen.
Die Gebäude dort sind zweigeschossig und haben dicke Mauern. Wir
können einen Heckenschützen in jedes Fenster setzen und
eine Passage für einen Rückzug zum Hebewerk
offenhalten.« Der Korporal kratzte sich den kurzgeschorenen
Schädel. Er war ein stämmiger, wettergegerbter Mann mit
alten Laserbrandwunden an einer Seite seines klugen Gesichts.
»Es wäre das beste, wenn du jetzt damit anfingest, die
alten Männer, die Frauen und die Kinder wegzuschicken. Befiehl
den Gleitern umzukehren. Es gibt auch jede Menge Halblebende, die in
einer alten Lagerhalle gestapelt sind.«
    »Sie werden bleiben müssen.«
    »Ich würde gern ein paar Gebäude in die Luft jagen.
Das wird uns geeignete Schußfelder verschaffen, um jede
Annäherung auf dem Platz abzudecken.«
    »Natürlich.«
    »Ihnen wird es nicht gefallen«, sagte der
Korporal.
    »Ich werd’s ihnen sagen, wenn du
möchtest.«
    Der Korporal lächelte. »Es ist bloß so, daß
ich nicht gut bin, wenn’s dazu kommt, Zivilisten zu befehligen.
Das hat mich daran gehindert, ein Offizier zu werden.«
    Der größte Teil des Revolutionskomitees wartete auf dem
Platz, staubig und zerzaust von ihrer mühseligen Arbeit. Lee gab
ihnen einen groben Umriß seiner Pläne und setzte sich an
eine Seite, während der Korporal die Einzelheiten
erläuterte. Die Frau, die sich Lee im Haus des Gouverneurs
entgegengestellt hatte, kam zu ihm. Sie hatte eine zugedeckte
Schüssel mitgebracht: gekochter Reis, gebratene Stücke
Schweinefleisch und Tofu. Lee nahm sie dankbar. Er hatte, seitdem er
den Schwarzen Drachen verlassen hatte, nichts mehr
gegessen.
    Die Frau setzte sich neben Lee, während er aß. Ihr Name
war Wu Lin. Sie war in der Hauptstadt geboren. Ihre Eltern waren
entfernte Verwandte eines der Zehntausend Jahre und bei einem Unfall
kurz nach ihrer Geburt gestorben. Sie war im Großen Haus ihres
Urgroßvaters aufgezogen worden, und vor einem Jahr war sie nach
Ichun geschickt worden, um als Agronom-Technikerin zu arbeiten. Ihr
schwarzes Haar war zu einer Tolle geschnitten und fiel ihr über
die Augen; ihre Nägel waren abgebrochen und dreckverkrustet. Sie
sagte: »Meine Kameraden haben hart für dich gearbeitet. Ein
nettes Wort wäre hilfreich.«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob das stimmt. Sie glauben an ihre
eigene Wichtigkeit, nicht an die Wirklichkeit.«
    »Stimmen die Geschichten über dich?«
    »Ich bin sicher, daß sie für diejenigen stimmen,
die sie erzählen. Ich bin mir gleichfalls sicher, daß
jene, welche die Geschichten erzählen, glauben, sie
wüßten mehr über mich, als sie tatsächlich
wissen.« Lee kratzte die letzten Reiskörner in den Mund.
Das Essen bildete eine solide Grundlage in seinem Magen.
    »Ich werd’ einen Ort zum Ausruhen suchen«, sagte Wu
Lin. »Wir haben wenigstens noch eine Nacht, ehe die Armee
kommt.«
    Lee nahm ihre Unke Hand in seine beiden Hände. Er sah ihre
Fingernägel an, zog sie dann hoch. Sie waren genau gleich
groß. Er sagte: »Ich weiß von dir. Ich weiß
mehr, als du glaubst. Ich weiß, wer dein Urgroßvater
ist.«
    Sie versuchte, sich ihm zu entziehen.
    Lee sagte: »Ich habe einen Mann getötet, und bald werde
ich vielleicht eine Frau töten müssen. Ich fürchte
mich vor nichts auf dieser Welt, außer vor mir selbst. Und das
ist auch alles, wovor du dich

Weitere Kostenlose Bücher