Roter Staub
Maschinen gezähmt haben.«
»Wenn es möglich ist«, sagte Dorje aus den
flackernden Schatten unterhalb des Throns.
»Es ist möglich«, sagte Nangpa. »Doch obgleich
es möglich ist, mag sie unseren Dienst nicht überleben.
Also müssen wir uns beeilen, Dorje, wie ich dir gesagt
habe.«
»Wir arbeiten, wie wir wollen«, sagte Dorje.
»Und wenn sie nicht dienen wird?« sagte Lee. Seine
Stimme hallte von den bemalten Gewölben der Decke des Raums
wider; er hatte nicht so laut sprechen wollen.
Pemba sagte zu ihm: »Es gibt nur einen Weg.«
Lee rannte. Er duckte sich unter Pembas schwächlichem Streich
und rannte direkt zu der niedrigen Tür am anderen Ende der
Halle.
Affe sprang auf. Lee rief Worte der Macht, doch Affe schlug sich
lediglich auf die Brust und heulte und plapperte.
Lee drehte einen Pfahl los, der eine Ecke des staubigen Baldachins
über einer Statue des vielarmigen Yamantanka des Schrecklichen
festhielt. Affe duckte sich unter Lees wildem Schwinger und packte
das zersplitterte Ende des Pfahls. Als Affe zog, rammte ihm Lee die
Schulter fest in das flache Froschgesicht. Affe ging der Atem aus.
Lee rang ihm den Pfahl aus dem Griff und schlug ihm damit in den
Magen.
Affe fiel auf die Knie, und Lee drehte sich um und hob den Pfahl
über den Kopf, rief den Mönchen zu, daß sie Miriam
freilassen sollten, oder es würden einige Knochen brechen.
Der große dünne Mönch, Dorje, stand zwischen den
beiden Schüsseln mit Kerzenflammen. Er zeigte mit dem silbernen
Stock auf Lee, der auflachte. Diese dummen alten Mönche und ihr
halbtierischer Diener waren schwächliche Feinde.
Und dann flammte der Blitz an dem Stab entlang, und Lee wurde nach
rückwärts geworfen. Jeder Strang seines Körpers schien
gerissen.
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19
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Der Schlag aus Dorjes Stab hatte Lee nicht vollständig
umgehauen, aber eine lange Zeit konnte er im Kopf keinen Gedanken
für länger als eine Sekunde festhalten. Verschwommene
Augenblicke fielen wie Perlen von einem zerrissenen Halsband herab
und zerstreuten sich außerhalb seiner Reichweite.
Als sich die Zeit wieder zusammenfügte, war er wieder in der
kleinen Zelle, in der aus dem Sandstein ausgehauenen Nische. Pemba
gab ihm zu essen, eine purpurfarbene Brühe mit faserigen
Stücken, einen Becher Tee mit darin verwirbelter Butter.
Pemba erklärte, daß die Nahrung aus dem Pflanzenzeugs
gewoben wurde, das in großen Bottichen wuchs, wozu man Licht
von der Oberfläche durch Röhren hinableitete. Die Lamaserie
war ebenso alt wie die tibetanische Okkupation des Mars, aus der
Zeit, als die Luft zum Teil verdickt, jedoch noch nicht atembar
gemacht worden war, als ausgedehnte Stürme die Welt von Pol zu
Pol marterten. Die Tibetaner hatten die Wiederherstellung des Mars
angestrebt, und die Han, die sie vertrieben hatten, hatten ihnen ihr
Werk gestohlen: aber die Lamaserie hatte überlebt. Eines Tages
käme ihre Zeit wieder.
Lee hatte dergleichen zuvor schon gehört, von den Cowboys,
die er auf seinen Fahrten über die weiten Ebenen von einem Danwei zum anderen getroffen hatte. Er wußte es besser,
als zu sagen, daß seine Vorfahren ebenfalls vertrieben worden
waren, in einem großen Exodus von hastig erbauten klapprigen
Schiffen, von denen vielleicht ein Zehntel die Reise beendet hatte.
Daß seine eigene Mutter und sein eigener Vater wegen ihrer
politischen Überzeugungen verschwunden waren. Daß er
nichts weiter als ein Bauer im Plan seines Urgroßvaters
war.
Pemba, der langsam im flackernden Licht der Butterlampe in der
Nische strickte, die Schmetterlingsbrille auf die Nase gedrückt,
sagte zu Lee, daß er einstmals frei auf der Oberfläche
gelebt habe. Die Lamaserie war vergessen worden, oder wenn man sich
ihrer erinnerte, so war es als einem verlassenen Ort in Ruinen. Pemba
war Cowboy gewesen, ehe er in die Lamaserie aufgenommen worden war,
ehe ihm ein neuer Name und ein neuer Daseinszweck gegeben worden
waren. So war es auch mit Dorje und Nangpa gewesen, und vielleicht
sogar mit Meister Norbhu. Es war eine sehr lange Zeit her, seitdem
jemand anderer in das versteckte Tal gestolpert war, sagte Pemba, und
es dämmerte Lee, daß er diesen Ort niemals verlassen
sollte. Daß er sein Leben in safrangelber Kontemplation beenden
sollte, die Statuen der großen Halle säubern und
Tücher für sie stricken, Muscheln blasen oder Trommeln oder
Tschinellen zu den langsamen Rhythmen von Gesängen spielen, den
Meister in seinem verdrahteten Behälter pflegen sollte.
Pemba
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