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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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Fragen stellen, wenn sie
schläft und er tot ist?«
    »Um so besser, wenn sie schläft«, sagte Pemba.
»Die Wahrheit liegt in den Träumen. Und er ist wirklich
tot, ist jedoch noch nicht in die Transzendenz hinübergegangen.
Vielleicht erinnerst du dich nicht seines Gesprächs mit
dir.«
    »Ich entsinne mich seiner Stimme, glaube ich. Aber Leichen
sprechen nicht.«
    Die Halblebenden, bleiche Marionetten in ihren Kokons, die sich
ihren Weg in des Himmels Informationsraum erträumten,
während sie aus diesem Raum hinausstarben. Es war möglich,
daß sie miteinander sprachen, aber sie sprachen niemals mit den
Lebenden.
    »Nur der Körper ist tot«, sagte Nangpa,
während er Nadeln herauszog, die er in Miriams Hals geschoben
hatte. Ein Tropfen Blut hing an jedem Ende, und er warf sie
sorgfältig in einen Messingkrug, aus dessen Hals weißer
Dampf quoll.
    »Der Körper lebt, zum Teil«, sagte Dorje
versuchsweise. »Er hält das Gehirn am Leben, andernfalls
würde die Seele in einen neuen Zyklus freigesetzt. Wenn das Haus
abgebrannt ist, sterben die Einwohner nicht, sondern müssen
anderswo leben. Und so ist es hier. Die Maschinen helfen dem
Körper bei seinem Halbleben. So führt und erleuchtet uns
unser teurer Meister Norbhu noch immer.«
    »Er hat recht«, sagte Pemba, während er Lee um die
Schüsseln herum, welche die rauchenden Konstellation der Ozeane
aus Yakbutter-Kerzen enthielten, zum Schrein führte.
»Siehst du, junger Han. Meister Norbhu lebt auf seine eigene
Weise.«
    Licht trat unter dem Giebeldach des Schreins hervor. Es leuchtete
auf den Homunculus, der in seinem flüssigkeitsgefüllten
Krug wie ein riesenhafter, uralter Embryo hing. Blasen stiegen von
Nähten auf, wo Röhren in seinen Brustkorb traten,
fächerten sich um das gesenkte Kinn herum auf, streichelten
seine eingefallenen Wangen. Feine Drähte führten von den
Augenwinkeln des Homunculus weg, die Augen waren von bläulichen
Membranen überzogen, sowie von den Ohren und der
Schädelbasis. Sie schwangen sich über die Schulter und
wanden sich ihm einmal um den Rumpf, ehe sie in die Basis des
Behälters und den schwarzen Würfel weiterliefen, worauf der
Schrein stand.
    Dies war nicht wie bei den Halblebenden, dachte Lee. Dies war ein
Leichnam, verdrahtet und konserviert.
    Dann jedoch rührte sich der Homunculus. Er bewegte sich
langsam und ruckartig. Eng um seine Gliedmaßen lag ein
Käfig feiner silbriger Fasern. Er hob den Kopf, schwang das
Gesicht Lee zu. Eine Hand streckte sich aus, drückte sich gegen
das Glas des Behälters. Die Nägel waren verdrehte,
gehörnte Klingen, so lang wie Messer.
    Lee hörte das schwache Kratzen, das sie an dem Glas
erzeugten, und wich zurück. Zum erstenmal verspürte er
Furcht. Die Mönche waren alte Männer, weise vielleicht,
jedoch nicht stark genug, um ihn gegen seinen Willen festzuhalten.
Affe war eine Art gengeschneidertes Her, und für solche
Kreaturen gab es stets Worte der Kontrolle, vielleicht dieselben
Worte, die das Streitroß kontrolliert hatten. Aber der
Homunculus war weder lebendig noch tot. Er war ein Geist, ein
Dämon.
    Der Mund des Homunculus bewegte sich nicht, doch plötzlich
ertönte eine Stimme. Lee konnte nicht sagen, woher sie kam. Es
war keine menschliche Stimme. Sie erfüllte ihm den Schädel,
tief, geduldig und weit entfernt.
    - AFFE STAMMT NICHT VON TIEREN AB, DIE ZU MENSCHEN GEMACHT WORDEN
SIND, sagte sie. ER STAMMT VON MENSCHEN AB, DENEN DIE ATTRIBUTE VON
TIEREN GESCHENKT WORDEN SIND. DEIN GROSSER WISSENSCHAFTLER HAT SEINE
VORFAHREN ALS SKLAVEN ENTWORFEN, ABER SIE WAREN KEIN ERFOLG. WIE
UNSERE EIGENEN TEUREN MENSCHEN SIND SIE ZU UNABHÄNGIG. DU WIRST
HIER DIE FALSCHEN, BÖSEN ANGEWOHNHEITEN DER UNABHÄNGIGKEIT
VERLERNEN, JUNGER HAN. ES IST LANGE ZEIT HER, SEITDEM WIR EINEN NEUEN
NOVIZEN ERWORBEN HABEN.
    Lee sagte zu Pemba: »Dein Herr kann in meine Gedanken sehen.
Er muß sehen, daß ich nicht hierher
gehöre.«
    - OBGLEICH DER BERG ZUM MEER WERDEN KANN, KÖNNEN WORTE NICHT
DAS BEWUSSTSEIN EINES ANDEREN ÖFFNEN.
    »Der Herr zitiert Mumon«, sagte Pemba. »Hinter
allen Dingen steht eine Lehre, aber wenn sie nicht aus dem
Bewußtsein kommt, ist sie nicht Buddha, ist sie nicht die
Dinge. Das lernen wir hier.«
    »Vielleicht ist diese Art des Lernens für mich zu
schwer.«
    »Der Weg ist stets schwer«, sagte Pemba. »Wenn er
es nicht ist, so wissen wir, daß wir nicht auf dem Weg
sind.«
    »Miriam…«
    »Deine Freundin wird gleichfalls dienen. Sie hat viel zu
bieten, sobald wir ihre

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