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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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erledigen,
aber das ist nicht gestattet, also ist es nicht der Mühe wert,
darüber nachzudenken.«
    Sie mußten dreimal umsteigen mit der Bahn, bis sie zum alten
Yankee-Viertel gelangten. Die Stadt wirkte leerer, als Lee sie in
Erinnerung hatte. Ganz Blocks von Apartmenthäusern lagen dunkel
und schweigend im Zwielicht. Andere waren von Flüchtlingen in
Beschlag genommen worden. Dzo und Ziegen waren in den Überresten
von Parks angebunden. Freudenfeuer loderten auf Dächern.
Wände waren mit Slogans bemalt und wieder übermalt worden;
Lee sah einen kleinen Roboter, der auf zarten Teleskopbeinen kauerte
und ein großflächiges idealisiertes Porträt einer der
Zehntausend mit Ideogrammen von einem Dutzend Metern Höhe
übermalte, womit er das Komitee der Sechs anprangerte, die
Gruppe der Zehntausend Jahre, die es auf sich genommen hatten,
für den Kaiser zu sprechen und die jetzt die einzigen Stimmen
der Autorität in den Wüsten seines Schweigens waren.
    Lee hatte den neuen Sendungen zusammen mit allen anderen in
Bitterwasser zugeschaut, aber wie jeder andere hatte er nicht die
Hälfte der Geschichten geglaubt, die von den munteren
Nachrichtensprechern erzählt wurden. Es war wohlbekannt,
daß die kommerziellen Kanäle alles aufbauschten und
übertrieben, weil sie auf diese Weise überlebten. Wenn sie
es nicht täten, täte es jemand anderes: also taten’s
alle.
    Jeder in Bitterwasser hatte den Regierungskanal bevorzugt. Er
sprach beruhigend von kleinen, rasch aufgelösten Versammlungen,
nicht von Aufständen, von Meinungsverschiedenheiten zwischen
politischen Fraktionen, nicht von Bürgerkrieg. Lee hatte diese
verwässernde Linie nur halb geglaubt, aber wie die meisten Leute
wollte er das glauben. Regierungen waren allesamt besessen von
Heimlichtuerei, und die beste wie die schlimmste gaben dieselben
Ausreden dafür, mit der Wahrheit zu spielen: daß es zum
Besten der Menschen wäre; daß unverfälschte Wahrheit
schädlich ist; daß sie gefiltert und geknetet werden
muß, ehe sie die Bevölkerung annehmen kann. Tyranneien
setzten diese Filtrierung rücksichtslos durch, diese
Selektierung; Demokratien, gleich, wie hoch ihre Ideale waren,
rutschten früher oder später durch Nachlässigkeit in
dasselbe Benehmen. Es spielte keine Rolle. Es spielte keine Rolle,
weil all die verschiedenen Arten von Regierungen recht hatten: die
Leute wollten die Wahrheit nicht hören. In Demokratien sich
selbst überlassen, von Tyranneien dazu drangsaliert, falsches
Interesse zu zeigen, kümmerten sich die Leute wirklich so lange
nicht darum, was die Wahrheit war, wie es ihnen nicht wehtat,
weswegen, außer in Krisenzeiten, die Macht, die unter den
Menschen verteilt war, zu fragmentarisch war, um von irgendwelchem
Nutzen zu sein. Die Stärkeren gewannen stets, weil die
Schwächeren sie gewinnen ließen: Guoquiangs Vater,
Urgroßvater Wei, der Computer in der Lamaserie. Wenn Menschen
Macht verliehen wurde, gaben sie diese gewöhnlich so rasch wie
möglich ab, weil es unangenehm war, sie zu halten. Nur
diejenigen, denen man ursprünglich niemals die Macht hätte
geben sollen, suchten sie aktiv.
    Die Straßenbahn ratterte an Wandgemälden, ruinierten
Gebäuden und Flüchtlingslagern vorüber, vorüber
an Schrott, von den Aufständen hinterlassen, und an
Gebäuden, an deren Wänden Gemälde prangten, die
zernarbt und ausgehöhlt durch Granaten und Schüsse waren.
Die Straßenbahnglocke klingelte pflichtgemäß an
jeder Kreuzung, als versuchte sie, die alte Ordnung wieder zu
beschwören. Sie ratterte an den Grabstätten der
Halblebenden vorüber, Lagen weißer Gebäude, die in
Inseln aus Licht zu schweben schienen. Jene, die aus dieser Welt
hinausstarben, waren wichtiger als jene, die noch immer darin lebten,
schien es.
    Es gab wenig Verkehr, und der größte Teil davon bestand
aus Milizenkommandos, die in raschen elektrischen Lastwagen
vorüberflitzten. Einmal mußte die Straßenbahn an
einer Barrikade anhalten, während Milizen in schwarzen Blusen
und schwarzen bauschigen Hosen, die um die Stirn befestigten roten
Bänder waren mit dem Siegel des Kleinen Vogels markiert,
einstiegen und jeden Fahrgast der Reihe nach ansahen. Sie waren mit
Pistolen und Laserstachelstöcken bewaffnet. Redd erwiderte ihr
Starren, und sobald die Straßenbahn die Barrikade passiert
hatte, sagte er zu Lee: »Die Dinge stehen schlimm. Der Kaiser
ist so ruhig geworden, daß die Zehntausend Jahre untereinander
kämpfen, um zu sehen, wer sein Nachfolger sein

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