Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
Vom Netzwerk:
alte Totfinger war ein Mönch gewesen,
und sein Kopf war noch immer glatt rasiert. Einsame Taube war ein
Deserteur der Sprachrohr-des-Volkes-Armee. Und so weiter.
    Nur Redds Gründe, beim Viehtreiben mitzureiten, waren unklar.
Lee hörte ein halbes Dutzend widersprüchlicher Geschichten;
man vermutete, er habe seinen besten Freund der Geheimpolizei
verraten; oder er habe ihn in den Rücken geschossen; oder er
wäre tatsächlich in der Geheimpolizei gewesen und
wäre davongelaufen, nachdem er seinen Freund aus der Kindheit,
einen Anführer der Ku li, einem Hinterhalt hatte
entkommen lassen; oder er wäre ein Anführer der Ku li gewesen, der gewalttätigen Aktionen abgeschworen
hätte… Weder bestätigte noch verneinte Redd irgend
etwas davon. Er war nicht viel älter als Lee, aber Lee lernte
von ihm, wie wenig er eigentlich von der Wüste und vom
Yaktreiben wußte, und wie wenig er vom Leben der Männer
wußte, die in den weiten leeren Landschaften des Mars lebten,
außerhalb der Städte und der engen Danweis.
    »Du mußt einen Namen haben«, verkündete Redd.
»Kann nicht zulassen, daß du in Lowell
herumläufst…« – wie alle Cowboys beharrte Redd
darauf, die Hauptstadt bei ihrem alten Yankee-Namen zu nennen –,
»wo dich dein Urgroßvater in dem Augenblick aus der Menge
pflücken kann, da du deinen wirklichen Namen benutzt.« Er
sah Lee von der Seite an, und blaue Augen glitzerten unter dem Rand
seines schwarzen Huts. »Billy, das ist der Name für
dich.«
    »Du bist dir sehr sicher.«
    »Ist, weil du ein Kid bist. Billy Lee. Siehst du, wir machen
dich zu einem Halb-Yankee. Ich schätze, du hast was vom
weißen Mann in dir, es gibt niemanden auf dem Planeten, der
nich’ irgend ’nen Marsianer in sich hätte, Yankee oder
Tibeter oder beides. Cowboys haben gewöhnlich einfach mehr vom
Marsianer in sich als die meisten, weshalb sie gewöhnlich jeden
herumwandernden Han töten, dem sie über den Weg
laufen.«
    »Du hast mir das Leben gerettet.«
    »Ich habe mich gefragt, ob du dich daran erinnerst.«
    »Ich werd’s nicht vergessen. Aber warum hast du mich ins
Lager mitgekommen, wenn du gewußt hast, daß ich
wahrscheinlich umgebracht werden würde?«
    »Oh, ich war bereit, für dich in die Bresche zu
springen, Billy Lee. Hat sich herausgestellt, daß ich das nicht
tun mußte, also habe ich die ganze Zeit über recht mit
meiner Ahnung gehabt. Weißt du, warum du verschont worden bist?
Falke hat den Geist auf deinem Rücken gesehen. Er ist deswegen
neugierig, weil Cowboys den Anarchisten einen Teil ihres
Lebensunterhalts verdanken. Aber Cowboys sind nicht für die
Himmelsstraße, was das betrifft. Sie sind lediglich für
sich selbst.«
    Seit der Nacht, in der die Kapsel der Anarchisten heruntergekommen
war, hatte Lee Miriam nur einmal in seinen Träumen gesehen.
Vielleicht verblaßte sie bereits, wie ein unvollkommen
fixiertes Photo. In dem Traum hatte sie nicht mit ihm gesprochen;
vielleicht war es am Ende nichts weiter als ein gewöhnlicher
Traum gewesen. Es war die uralte irdische Stadt Las Vegas gewesen,
bei Tageslicht. Lee erkannte die kunstvoll verarbeiteten Klippen der
Kasino-Frontseiten aus den Filmfragmenten von Via Las Vegas! wieder, aber sie erschienen klein, blaß und geschmacklos
ohne ihre Umhüllungen aus elektrischem Licht. Miriam war ein
Stück vor ihm gegangen, aber als er versuchte, sie einzuholen,
war ein rosafarbenes Auto, groß wie ein Raumschiff, aus dem
Nirgendwo herangeglitten, und sie war hineingesprungen. Und als das
Automobil davonschoß, sah Lee, daß der Fahrer der
›King of the Cats‹ war.
    Lee fragte Redd, der so redselig gestimmt war, wie es Lee noch nie
zuvor an ihm erlebt hatte: »Ist es das, wofür du bist, nur
für dich selbst?« Er dachte an Redds Augenblick des stillen
Gebets, Buße für seine mysteriöse Vergangenheit.
    Redd zog den Rand seines schwarzen Hutes über die Augen.
Seine Handschuhe klebten vor roten Staub; ein Reif von Staub war an
der Wolldecke, die er als Umhang trug. »Ich schätze,
niemand kann es sich leisten, nicht für sich selbst zu
sein«, sagte er. »Ansonsten wird man einfach von anderen
Leuten benutzt. Was ist mit dir, Billy Lee? Gefällt dir das
Cowboy-Leben genug, daß du bleibst?«
    »Ich muß mit meinem Urgroßvater reden, falls ich
es kann. Ansonsten vielleicht…«
    Redd lachte und sagte: »Ja, so geht’s eben halt, bis du
eines Tages so alt bist wie der Graue Fuchs oder die Einsame Taube,
und du fragst dich, wohin dein Leben gegangen ist.«

Weitere Kostenlose Bücher