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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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aufs
Knie, auf die Hüfte. Weißauge flog rückwärts,
landete auf einem Tisch und verstreute Gläser und Flaschen. Als
er aufzustehen versuchte, packten ihn stämmige Trinker an den
Schultern und wirbelten ihn davon: Männer traten beiseite, als
er in die stählerne Theke krachte.
    Einer der Milizen wurde inmitten einer Schlägerei erwischt;
der andere duckte sich, als jemand einen Stuhl nach ihm schwang, und
schlug den Stuhlschwinger mit einem Hieb k.o. Der Kampf breitete sich
in jede Ecke der Bar aus; Weißauge war in einem Gewühl aus
geschwungenen Fäusten und Mobiliars, einem Hagel aus Flaschen
und Gläsern verschwunden.
    »Lauf!« rief Redd Lee zu, und der nächststehende
Milizionär schrie ebenfalls etwas. Die Schußwaffe
schwingend schob er sich wie ein Schwimmer in schwerer See durch den
Aufruhr. Er war so nahe, daß Lee, als die Waffe losging,
spürte, wie ihm die Hitze ihres Strahls übers Gesicht
glitt. Das Geschoß zerschlug die Kabel und Röhren, die an
der Decke ineinander verwoben waren; Fächer von Funken regneten
auf die Köpfe der Kämpfer herab.
    »Lauf!« rief Redd erneut.
    Und etwas packte Lee und trug ihn davon.

 
     

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31
     

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    Lee ging durch die lärmende Menge und das neonerleuchtete
Nieseln. Er war auf der Hauptstraße, und er erinnerte sich
nicht daran, wie er sie erreicht hatte. Er spürte, wie das Ding,
das ihn gepackt hatte, auf den Tiden seines Bluts davontrieb. Er
ließ es fahren. Er spürte seinen Puls, gerade hinter den
Ohren. Beine und Rücken schmerzten angenehm, hohl. Er
fühlte sich ruhig und erschöpft. Er war gerannt, sehr rasch
gerannt…
    Die reiche, bedächtige Stimme des ›King of the
Cats‹ plauderte aus den Lautsprechern in einer Info-Passage. Lee
erinnerte sich daran, daß der Bibliothekar ihm versprochen
hatte zu versuchen, ihm zur Hauptstadt zu folgen, und trat ein. Er
hatte jetzt keinen weiteren Verbündeten außer Miriams
schweigendem Geist.
    Nachdem er die alte Frau bezahlt hatte, welche die Passage
führte, wählte Lee willkürlich eines der halbdutzend
Sofas. Es faltete sich um ihn herum wie eine vorzeitig erblühte
Blume, schoß ihm Elektroden ins Genick und auf die
Handrücken, legte ihm eine Maske auf die Augen und drückte
ihm Lautsprecher auf die Ohren.
    Das Menü brannte kurz vor ihm, aber ehe er eine Auswahl
treffen konnte, fuhr es wie ein Vorhang auf einem elektronischen Wind
vorbei, und er befand sich in einem vertrauten Korridor mit
Bücherreihen. Groß in seinen schwarzen Gewändern, das
Gesicht verborgen von Schatten, durch die endlos silberne
Stäubchen fielen, senkte der Bibliothekar einen ledergebundenen
Oktavband und sagte: »Herr. Du bist nicht einen Augenblick zu
früh gekommen. Ich habe deine Eltern gefunden.«
    »Endlich«, sagte Lee, doch er spürte eine jähe
heftige Bedrohung. Dies war der Dreh- und Angelpunkt seines
Lebens.
    Der Bibliothekar sagte: »Du fürchtest dich, Herr. Ich
verstehe. Schließlich hast du diesem dein Leben
gewidmet.«
    »Ich denke, ich weiß, was ihnen zugestoßen
ist«, sagte Lee. »Ich fürchte mich nicht vor der
Zukunft, Bibliothekar, aber vor der Vergangenheit.«
    »Die Vergangenheit ist stets so, wie sie gewesen ist, wie ich
dir zeigen werde«, sagte der Bibliothekar und öffnete das
Buch, um das lebhafte Grün eines sommerlichen Gartens zu
zeigen.
    »Nein«, sagte Lee, »warte…«
    Aber er befand sich bereits dort, in jenem Teil des Gartens von
Urgroßvater Weis Großem Haus, wo Wasser über
Muscheln aus rotem Fels fiel und in dunkle, binsengesäumte
Teiche tröpfelte. Lee war klein, zappelig vor Ungeduld, und
zerrte an den großen festen Händen, die jede der seinen
festhielt. Da war der scharfe Geruch frisch geschnittenen Grases.
    Seine Mutter und sein Vater beugten sich über ihn, ihre
Gesichter dunkel gegen das strahlende Sonnenlicht. Psst, psst. Er
wird bald hier sein. Und eine weitere Stimme: Ich bin bereits
hier. Und dann fielen Donner und Blitz vom Himmel, und Lees
Eltern flogen von ihm weg. Er blickte in völliger Verwirrung
auf, erschrocken über Tränen hinaus, und der Mann stand
hoch über ihm, oben auf den nassen roten Felsen. Ein junger
Mann, ganz in Schwarz, der eine rauchende Maschinenpistole in
Händen hielt. Er lachte laut heraus und sagte: »Krieg dich
später, Junge«, und spie hinab in den Teich, wo Lees Mutter
trieb, das Gesicht still und weiß im Zentrum ihres sich
ausbreitenden schwarzen Haars.
    »Zeit ist aufgebraucht! Hee, komm schon! Zeit ist seit zehn
Minuten

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