Roter Staub
aufgebraucht!«
Es war die Yankee-Großmutter, die Leiterin der Passage. Sie
hatte das Sofa geöffnet. »Wenn du willst, kannste für
weitere Zeit bezahlen, aber das mußte jetzt machen. Hee. Hee,
bisse okay?«
Lee sah sie durch einen Tränenschleier. Sie war wenigstens
vierzig, trug eine aufgetürmte, leuchtend rote Perücke, ein
Zentimeter weißen Puders lag wie eine Eisschicht auf ihrem
runzligen Gesicht, leuchtend roter Lippenstift, schmieriges blaues
Zeugs rund um die Augen. Ihre Brüste schoben sich in ihrem
voluminösen roten Samtkleid wie Muscheln nach oben. Sie roch
durchdringend nach Geranien.
Sie sagte: »Du siehst beschissen aus, Bürger.«
»Etwas, das ich gesehen habe…«
»Hee, jetzt hör mal zu, meine ganze Ausrüstung wird
regelmäßig exorziert. Dies ist ein sauberer Ort, hierdrin
gibt es keine Leitungsdämonen, nicht, wenn du nicht selbst
welche mitgebracht hast. Du hast in verbotenen Bereichen
geschnüffelt? Sowas gestatten wir hier nicht. Ist ein
öffentlicher Ort, ich muß an mein Publikum
denken.«
»Tut mir leid, Großmutter. Es hat mich
gesucht.«
Lee schob sich an ihr vorbei zur Tür, doch als er in die
Menge außerhalb der Passage stolperte, rief sie ihm nach:
»Du haust, Teufel noch mal, mit deinem Dämon ab. Dies ist
ein sauberer Ort!«
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32
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Zehn Minuten später wußte Lee, daß er verfolgt
wurde. Der Mann war ein stämmiger Han mit dem bleichen Aussehen
eines Staatsbeamten, gekleidet in einen Geschäftsanzug unter
einem durchsichtigen Plastikregenmantel. Er bummelte auf der anderen
Seite der belebten Straße entlang, und wenn es nicht so viele
Yankees gegeben hätte, hätte ihn Lee vielleicht nie
bemerkt. Aber sein verbindliches Mondgesicht schien stets Lee
zugewandt zu sein, und es blitzte immer wieder in der Menge zwischen
den Straßenbahnen auf. Lee ging willkürlich um Ecken,
hielt sich dabei stets auf den breiteren Straßen – er
traute sich nicht, in das Labyrinth von Hutongs abzutauchen –,
aber jedes Mal, wenn er zurückblickte, war sein Beschatter noch
da, der sich mit demselben stetigen Schritt auf der anderen
Straßenseite durch die Menge bewegte.
Vielleicht ein Freund von Redd – aber wie hätte er Lee
so rasch gefunden? Oder Urgroßvater Wei hatte vielleicht Lee
gefunden, nachdem er den Informationsterminal benutzt hatte.
Dieser Gedanke verdoppelte die Last des Wissens um den Tod seiner
Eltern. Er hatte es die ganze Zeit über gewußt, hatte es
jedoch bis jetzt nicht verstanden. Daß sie tot waren. Daß
sie von einem Meuchelmörder getötet worden waren, der von
Urgroßvater Wei angeheuert worden war. Denn der Mann hätte
ohne Kooperation mit dem Sicherheitssystem des Großen Hauses
den Garten des Großen Hauses nicht betreten können; und
abgesehen davon wußte Lee, wer er war. Jahre danach war er noch
immer bei Urgroßvater Wei angestellt.
Lees zufällige Route hatte ihn zu einem großen
achteckigen Platz geführt, wo die Straßenbahnlinien kreuz
und quer um eine Säulenplatte herumfuhren, auf der Cho Jinfeng
hoch über dem Verkehr und der Menge stand und zu einem
Reagenzglas aufblickte, das sie wie eine Fackel hochhielt. Auf dem
Rücken ihres offenen Labormantels waren spinnenhafte
Yankee-Graffiti zu sehen, und eine Seite des Mantels war leicht
angehoben, wie von einer unwahrnehmbaren Brise
zurückgeblasen.
Lee umkreiste die Statue und ging zum zweitenmal an der Reihe
Fahrradrikschas vorüber, als ihm die Idee kam. Er sprang in die
erste Rikscha in der Schlange. Der Fahrer war ein muskulöser
Yankee in engen grünen Leggins und einem neonpinkfarbenen
Unterhemd, dessen Ärmel an den Schultern abgerissen waren.
Über seiner blonden Haarmähne befand sich eine Art Kugel
aus zerknittertem Plastik; eine Atemfiltermaske hing unter seinem
Kinn. Er fragte: »Wohin, Mann?«
Lee hielt dem Fahrer eine Zehn-Yuan-Note vors Gesicht.
»Irgendwohin, und zwar rasch… ich versuche, jemanden
abzuhängen.«
Der Fahrer nahm Lee den Schein aus den Fingern, hielt ihn sich ans
Ohr und rollte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger. Dann war er
verschwunden. »Wahnsinn«, sagte er. »Jemand, den ich
kenne?«
Lee sah, wie sich der fleischige schwarzgekleidete Han in weniger
als einem Dutzend Metern Entfernung durch die Leute schob. Er schob
dem Fahrer einen weiteren Schein zu und sagte: »Fahren wir
einfach los!«
Der Fahrer zauberte den Schein weg, hakte sich die Maske über
Mund und Nase und stellte sich in die Pedale. Er schwenkte um eine
langsam
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