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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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Seiten hoben sich die
Mastspitzen der kleinen Fischerboote hüfthoch. Schwarzes Wasser
schlappte weit unter ihm. Er drehte sich um.
    Der Mann in Schwarz hob die Hände, um zu zeigen, daß
sie leer waren. Er war nur wenige Meter entfernt.
    Die Laternen und tanzenden Lichter des Festes bildeten ein Band in
der Dunkelheit hinter ihm.
    »Wei Lee«, sagte er. »Hab keine Furcht. Ich bin
hier, dir zu helfen.«
    Lee sagte: »Ich brauche keine Hilfe.« Ein Feuer brannte
unterhalb seines Brustbeins.
    »Ich glaube doch. Du kannst mir vertrauen. Sieh
her!«
    Der Mann wollte etwas aus seiner Jacke herausholen, und Lee wurde
zum verschwommenen Fleck, als er direkt auf den Mann zulief und ihn
beim Handgelenk packte. Einen Augenblick lang rangen sie an der Kante
der Mole: Lee verzweifelt rasch; der Mann gewichtig und stark. Und
dann stürzten sie.

 
     

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34
     

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    Der Aufprall auf dem Wasser preßte Lee den ganzen Atem aus
dem Körper. Er stürzte in einem Wirbel aus Blasen in kalte
Dunkelheit. Druck trieb ihm zwei Stachel in die Trommelfelle. Wie
fast jeder Marsianer hatte er niemals schwimmen gelernt. Galvanisiert
von einem Blitz der Furcht prügelte und trat er gegen das
schwere dunkle Wasser, ohne eine Vorstellung zu haben, wo oben und
unten war.
    Jeden Muskel verlangte es schmerzhaft nach Luft, doch er behielt
genügend Sinne beisammen, um die Zähne fest gegen den
Impuls zu atmen zusammenzupressen, der seine Brust wie ein
Schraubstock zusammendrückte und drohte, ihm die Rippen zu
sprengen.
    Dann stieß ihm etwas gegen das Kreuz. Er wurde rasch durch
kaltes schwarzes Wasser gezogen, das jäh über seinem
Gesicht aufbrach. Er öffnete den Mund, und dieser füllte
sich mit einem Schwall Luft, rein wie das Leben, ehe sich wieder
Wasser über seinem Kopf schloß. Er trat aus, spürte,
wie etwas seine Beine streifte, seine Hände. Er packte einen
glatten, harten, stromlinienförmigen Körper, und dieser hob
ihn erneut in die Luft, schob ihn mit starken, geschmeidigen
Bewegungen auf die Küste zu.
    Lees Beine streiften Schlamm und ein Gewirr aus Seegras; dann
wurde er mit ausgestreckten Gliedmaßen auf
salzüberkrusteten Schlamm gelegt und hatte kaum noch
genügend Kraft, den Kopf zu heben, als er kaltes Wasser
ausspuckte. Er fiel herab und wälzte sich auf die Seite, wobei
er so hart und schmerzhaft atmete wie ein neugeborenes Baby.
    Er war um die Biegung der Küste herumgebracht worden,
jenseits der Molen, des Lärms und des Lichts, die das Fest am
Strand verursachten. Ein wenig entfernt durchbrach etwas mit einem
grinsenden, spitzen Maul voller winziger, nadelscharfer Zähne
die Oberfläche. Es stieß ein schrilles Geplapper aus und
sah ihn aus einem strahlenden Auge an, ehe es ins schwarze Wasser
zurückglitt. Lee wurde klar, daß es das Wesen war, das ihn
gerettet hatte.
    »Ist ein Flossler«, sagte eine kleine Stimme aus der
Dunkelheit hinter ihm.
    Lee überlegte, ob er das verstärkte Sehvermögen
benutzen sollte, das die Viren ihm geschenkt hatten, und erblickte
das ernste kleine Mädchen, das ihn mitten im Getümmel des
Festes am Saum seines Chuba berührt hatte. Sie trug ein
schwarzes Unterhemd über einem roten Hemd mit bauschigen
Ärmeln und kniehohen Pelzstiefeln. Ihr schwarzes Haar war zu
eingeölten Zöpfen geflochten, die über ihren Ohren
festgesteckt waren.
    Sie sagte: »Flossler helfen uns beim Fischen. Niemand
fängt einen Gott!«
    Lee gelang es, auf die Beine zu kommen. Er zitterte wegen mehr als
nur der Kälte, obgleich seine Kleider schwer waren von dem
eisigen Wasser und er von der Brise, die vom See wehte, bis auf die
Knochen durchgefroren war. Er sagte: »Ich wünschte, ich
könnte ihm danken.«
    »Du brauchst eine Maschine, um mit Flosslern zu sprechen.
Vieles ist zu hoch und rasch, selbst für mich.« Sie sagte,
in einem völlig anderen Tonfall: »Ich trage einen Gott.
Deswegen weiß ich, daß du mehr als einer bist.«
    Ein quietschendes Geplapper tönte draußen vom
Wasser.
    Das kleine Mädchen sagte: »Der Flossler sagt, du bist
Legion. Er sagt, du kommst, um den See zu retten.
    Er sagt, du mußt tun, was du tun mußt. Ich weiß
das ebenfalls. Deswegen sind wir dich suchen gekommen.«
    »Wir?« fragte Lee dümmlich.
    »Alle Götter. Wir haben eine so lange Zeit auf dich
gewartet.«
    Der Name des kleinen Mädchens war Chen Yao. Sie war vier
Jahre alt, die jüngste Tochter einer Fischerfamilie. Der Gott,
der sich in ihr in dieser Nacht niedergelassen hatte, war ein
Sternengott, dessen

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