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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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geheimer Name nicht enthüllt werden konnte.
Chen Yao sagte, daß er behauptete, er wäre Vater des
Herrschers Yu, der als erster die Überschwemmung des Gelben
Flusses kontrolliert hatte; sein Vertrauter war ein Fuchs mit neun
Schwänzen. Deswegen hatte sie Lee helfen können.
    »Weil ich neun Schwänze habe?«
    »Vielleicht hast du neun Leben.« Chen Yao neigte den
Kopf und horchte eindringlich auf etwas, das nur sie hören
konnte. »Nein, weil du die Schlüssel zum himmlischen
Fluß in Händen hältst, die eines Tages die Ufer der
freundlichen Länder überspülen werden.«
    Lee glaubte, daß sie die Milchstraße meinte, und
stellte keine weiteren Fragen. Chen Yao führte ihn die weite
Fläche der Salzebenen entlang und dann durch die Menge, die
Lichter, Düfte und den Lärm des Festes hindurch. Sie hielt
seinen Daumen in ihrer heißen kleinen Faust und plauderte in
der Art jeder Vierjährigen dahin.
    Es schien, daß der Flossler, der ihn gerettet hatte, ein
Abkömmling von Delphinen war, die durch Cho Jinfeng
intelligenter gemacht worden waren. Das wenigstens war wirklich
genug. Ebenso, wie es der Mann in Schwarz gewesen war, von dem Lee
inbrünstig hoffte, er läge auf dem Grund des Sees. Aber das
Gerede von Göttern… selbst wenn Chen Yao etwas über
Miriam wußte, war Miriam keine Göttin. Sie war noch nicht
einmal lebendig, war nichts weiter als die Summe von Daten, die von
ihren Viren auf den Spion-Apparat in seinem visuellen Kortex codiert
waren…
    Lee bemerkte, daß er und die kleine Chen Yao irgendwie zur
Spitze einer Prozession geworden waren. Männer, Frauen und
Kinder folgten ihnen in einem feierlichen Gänsemarsch durch die
Menge, alle mit großen Augen und tränenverschmierten
Wangen. Er fragte das kleine Mädchen, wohin sie gingen, und sie
zeigte und sagte: »Nun, natürlich zu unserem
Haus.«
    Auf einer Landspitze am anderen Ende des Ufers, hinter den
Häusern und den langen abschüssigen Molen, erleuchtet von
Laternen, die überall über den weißgestrichenen
Wänden und steilen roten Ziegeldächern hingen, lag ein
Tempel.

 
     

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35
     

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    Die Götter badeten Lee und brachten ihm saubere Kleider und
speisten ihn mit gebackenen Auberginen und Maisporridge, garniert mit
gerösteten Kartoffelstücken. Dies war in einer der Kapellen
des Tempels, ein oktogonaler Raum mit hoher Decke, der erstrahlte in
Wandgemälden und Flaggen und Lampen, die in Hunderten von
Nischen flackernde Konstellationen bildeten. Lee erfuhr, wie gut
Essen schmeckt, nachdem einem das Leben gerettet worden war, und die
Götter lächelten nachsichtig über seinen Appetit.
    Nachdem Lee gegessen hatte, verließen ihn die Götter,
damit er schlafen konnte. Er streckte sich auf losen Kissen in einem
großen verzierten Stuhl aus, und das Brokatgewand, das ihm die
Götter gegeben hatten, kratzte an seiner sauberen Haut. Nach den
Schrecken der Nacht, der Jagd und nachdem er fast ertrunken war, war
er angenehm schläfrig und sauber, und ihm war behaglich
zumute.
    Die Enthüllung des Doppelmords an seinen Eltern schmerzte ihn
weniger, als er glaubte, daß es ihn schmerzen sollte. Der
kleine Junge, der Zeuge gewesen war, hatte keine Beziehung zu ihm,
außer, daß sie dieselbe Person waren, und ihm ging
allmählich auf, daß er mehr von der Suche nach ihnen
besessen gewesen war, als an ihrem Ergebnis. Was am meisten
schmerzte, war, daß ihn Urgroßvater Wei nicht nur einmal,
sondern zweimal betrogen hatte, indem er dasselbe Werkzeug mit
beiläufiger Arroganz benutzt hatte, die Bände über das
sprach, was er von seinem Urenkel hielt.
    Und so waren alle von Lees vage ausgebildeten Plänen
über den Haufen geworfen. Morgen würde er von vorn anfangen
müssen, aber jetzt konnte er schlafen…
    Die Götter beobachteten ihn feierlich von der Schwelle der
Kapelle aus, erbaten nichts von ihm. Das kleine Mädchen, Chen
Yao, schlief zusammengerollt am Fuß von Lees Thron, und Lee
schlief ebenfalls bald ein.

 
     

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36
     

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    Er war allein in der Kapelle. Licht strömte durch die
Tür, heller als die Butterlampen.
    Zwei Menschen standen in dem Licht. Einer war Miriam Makepeace
Mbele. Sie trug enge Denim-Jeans mit einer Kruste aus
aufgenähten Abzeichen, und ein ärmelloses Unterhemd mit
Rosettenmustern aus Purpur und Orange, die auf eine Weise ineinander
verschachtelt waren, daß es so wirkte, als rotierten sie
über ihren Brüsten. Ihr Haar war lang und gebleicht, mit
einem funkelnden Haarband

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