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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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das Feuer ihrer ruhelosen Individualität
löschen.«
    »Und dennoch ist es uns auch mißlungen.«
    »Alles mißlingt. Gegen den großen Kreis des
Universums mißlingt sogar die fundamentale Vereinigung der
Materie. Alle Herdentreiber wissen, daß der Mars stirbt. Jahr
um Jahr schrumpfen die Weiden, werden die Herden kleiner. Ich bin ein
alter Mann, Wei Lee. Ich habe es selbst gesehen. Ich weiß,
daß unsere Zeit vorbei ist.«
    »Die Ku li würden vielleicht sagen, daß es
erst Frühling ist. Die trockene Jahreszeit vor den
Sommerregen.«
    »Die Ku li sind Papiertiger, eine übliche
Illusion, eine Ausrede dafür, die Bevölkerung den
Härten und Restriktionen einer permanenten Kriegsökonomie
zu unterwerfen. Es gibt keine Revolution, außer in den
Köpfen einiger irregeleiteter Marsianer. Wir Viehtreiber leben
die Hälfte des Jahres in den hohen Regionen, und dennoch haben
wir noch nie einen aus der sagenhaften Armee der Ku li gesehen. Die Anarchisten werfen subversive Literatur herab, doch
nur wir profitieren davon.«
    Chen Yao sagte: »Frage ihn, wie er profitiert, Wei
Lee.«
    Falkes Lächeln war wie ein kleines Her, das innerhalb seines
sauber gekämmten, seidenhaften weißen Barts aufwachte. Er
sagte: »Ich bin so vieles, Wei Lee. Ich bin Falke,
Herdenmeister. Und ich bin ebenso Yamyang Norbu, ein Einwohner und
Hausbesitzer, der eine Frau, acht Kinder und fünfzehn
Enkelkinder unterstützen muß, ganz zu schweigen von Herden
fauler, angeheirateter Verwandter und deren Verwandter. So
sind die Menschen. Gerade du müßtest das wissen.«
    »Er verbirgt etwas vor dir«, sagte Chen Yao.
    »Die Lagerhäuser bringen rascher Lügner als Ratten
hervor«, sagte Falke scharf. »Sei ruhig, kleines
Mädchen!«
    Eines der Virengeschenke Lees war die Fähigkeit, ins
entfernte rote Ende des Spektrums sehen zu können. Es geschah
unbewußt. Er sah Falkes Gesicht zu einer grünen Maske
verbluten, mit hellen, auf Wangen und Stirn pulsierenden Flecken.
Dann bemerkte er, daß ihn Chen Yao an der Hand hielt. Sie
sagte: »Blut betrügt stets.«
    Ein Geräusch ertönte von draußen. Lees
Gehörsinn verstärkte sich jäh selektiv. Es filterte
die Geräusche in Falkes Studierzimmer heraus, das Atmen der drei
Menschen, ihre Herzschläge. Falke sagte etwas, doch Lee
hörte es nicht. Er horchte auf das elektrische Schnurren eines
Motors, auf Stimmen, das Gerassel, als das Tor aufschwang und zwei
Menschen den Eintritt gestattete.
    Etwas packte Lee von innen. Er wirbelte herum und zerbrach mit dem
Ellbogen eine verglaste Vitrine, pickte mit Finger und Daumen eine
lange Spitze aus den Scherben. Er stieß Falke zurück, als
sich der alte Mann erheben wollte, nagelte ihm die Arme fest und
schob den improvisierten Glasdolch in die Hautfalten unter seinem
weißen Bart. Lees Gehör war wieder normal. Falke wollte
sprechen, und Lee schlitzte ihm ein wenig den Hals auf, so daß
Blut auf sein rohseidenes Unterhemd floß.
    »Töte ihn nicht, Miriam«, sagte Chen Yao.
    Da wußte Lee, was ihn besaß. Chen Yao hatte sie
erweckt. Sie war rings um ihn her, berührte ihn dennoch an
keiner Stelle. Sie war dort, aber er konnte nicht mit ihr reden.
    Chen Yao schloß die Tür und drehte sich um, ziemlich
selbstbewußt. Sie fragte: »Wem hast du uns verkauft, alter
Mann?«
    Lee nahm das messerscharfe Glas ein wenig von Falkes Hals. Er
hatte sich leicht in die Handfläche geschnitten. Sein Blut
vermischte sich mit Falkes Blut und lief ihm den Arm hinab in seinen
Hemdsärmel hinein.
    »Ich entschuldige mich, Wei Lee«, sagte Falke,
»aber Geschäft ist Geschäft. Als ich dich zum
erstenmal gesehen habe, habe ich geglaubt, du könntest wichtig
sein, weshalb ich dich hierher eingeladen habe. Als ich dich im
Fernsehen gesehen habe, wußte ich, wie wichtig du wärest.
Nicht bloß irgendein Streuner, der von Fragmenten besessen ist,
sondern etwas anderes…«
    Lee sagte Falke ins Ohr: »Du hast mich stets verkaufen
wollen, aber du konntest es in Redds Gegenwart nicht tun. Du bist ihn
losgeworden und hast darauf gewartet, daß ich zu dir
käme.«
    »Sag uns, wie wir sicher verschwinden können, alter
Mann«, befahl Chen Yao.
    Falke erwiderte ruhig: »Ihr könntet die Quartiere
für die Diener probieren. Durch die getäfelte Tür
hinter mir, den Korridor bis zum Ende hinab. Außer mir ist
niemand im Haus; als zum Jahreswechsel die Kämpfe in der Stadt
anfingen, schickte ich jeden in die Berge. Du bist sehr rasch, Lee,
aber wenn ich den Kampf wähle, glaube ich nicht, daß

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