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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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habe Mitleid mit ihr verspürt.« Lee kaute an
den klebrigen süßen Reiskuchen. Er hatte seit dem
Frühstück nichts gegessen, und jetzt war es Nachmittag.
    »Das ist schlimm. Mitleid schwächt. Es ist zu sehr wie
Verachtung.« Chen Yao war auf einmal ärgerlich und
ließ seine Hand los. »Behalte in Zukunft dein Mitleid
für dich, Wei Lee.«
    »Glaubst du, was der alte Mann gesagt hat?«
    »Meine Gottheit sagt mir, daß es Aberglauben ist.
Niemand kann die Zukunft kennen, denn das Material des Universums
verschwimmt von Augenblick zu Augenblick zu einer Myriade von
Möglichkeiten. Dennoch stimmt es, daß wir zum Tigerberg
gehen. Ich möchte glauben, daß du die Frau geheilt hast,
daß du die Welt retten wirst. Ich möchte glauben,
daß die Tat groß sein wird, so groß, daß sie
die Korridore der Zeit hinauf- und hinabhallt. Wenn jene uralten
Weissager jene Echos aufgefangen haben, dann haben wir bereits
gewonnen.«
    »Der Affe hat die Welt gehalten«, sagte Lee,
»dennoch hat der Baum den Affen gehalten. Ich frage mich, was
das bedeutet?«
    »Der Sinn dieser Symbole liegt darin, daß sie vieles
bedeuten. Vielleicht zu vieles. Warum bist du
stehengeblieben?«
    Die Straße hatte sich zu einem großen von weißen
drei- oder viergeschossigen Häusern umstandenen Platz mit einem
Springbrunnen in der Mitte geöffnet, dessen Bassin
knochentrocken war. Es war der Platz der Zweitausend Märtyrer,
und Lee erkannte Falkes Haus sofort, weil ein Paar Yakhörner
über seinem Eingang angebracht war.

 
     

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42
     

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    Das schmiedeeiserne Tor war doppelt so hoch wie Lee. Es enthielt
Szenen des Herdenlebens, die geschickt in seine Stäbe eingewebt
worden waren. Auf seine Berührung hin klickte das Schloß,
und das Tor schwang zurück. Lee, gefolgt von Chen Yao, ging
durch den Bogengang in einen Hof, wo eine kleine Fontäne
spielte, ein sprudelnder Wasserstrahl, der aufstieg und über
einen Kegel aus Schindeln herabtröpfelte. Lee badete darin das
gasverbrannte Gesicht. Das Wasser stach wie flüssiges Feuer, ehe
es den Schmerz linderte.
    »Ich halte das für keine gute Idee«, sagte Chen Yao
nervös, während sie sich im Hof umschaute.
    Geranien wucherten dicht in großen Tontöpfen. Ihre
leuchtend roten Blüten schienen in dem Dämmerlicht zu
schweben und erfüllten den Hof mit ihrem staubigen Geruch.
Balkone hoben sich vier Geschosse hinauf bis zu einem Glasdach;
Fahnen hingen wie Zungen von ihren Balustraden herab.
    »Er schuldet mir Geld«, sagte Lee. »Wir werden es
nötig haben.«
    »Wir müssen aus der Stadt. Zuerst heilen wir die Kranken
und dann werden wir zu Bettlern. Bei dieser Geschwindigkeit werde ich
eine alte Frau sein, wenn wir den Tigerberg erreichen.«
    »Pscht. Hör mal!«
    Irgendwo sang eine Frau ein Lied in einer Sprache, die Lee nie
zuvor gehört hatte. Sie sang voller Inbrunst, übertönt
durch Wellen von Orchestermusik. Es war kein Rock’n’Roll,
dennoch zerrte es gleichermaßen an Lees Herz.
    Licht schien aus einer offenen Tür auf der anderen Seite des
Hofs.
    Von dorther kam die Musik.
    Der Raum hinter der Tür hatte eine hohe Decke und
Holzpaneele. Dicke Teppiche lagen auf dem Fußboden und
dämpften Lees Fußtritte. Das Licht kam von einer
großen Lampe hinter einem Sofa, worauf Falke lag, gestützt
von Kissen, während er Rauch aus einer Wasserpfeife einsog. Das
Zimmer roch nach einer sinnlichen Kombination aus süßem
Haschischrauch und Creme de Menthe.
    »Komm herein, Lee«, sagte Falke. Er wirkte nicht im
geringsten überrascht und überhaupt nicht unter Drogen
stehend. »Setz dich. Es freut mich, dich zu sehen.«
    Er machte eine träge Geste. Schmale Lichtkegel fielen von
hoch oben herab und beschienen zwei Hocker. Die Musik verblaßte
zu einem Flüstern.
    Lee sagte fest: »Ich bin gekommen, das Geld zu holen, das du
mir schuldest.«
    »Oh, alles zur rechten Zeit«, sagte Falke.
    »Meine Freundin und ich, wir brechen zu einer Reise
auf.«
    »Ich weiß. Darum habe ich dich gebeten, dich zu setzen,
weil ich mit dir darüber reden will. Das war ja eine ansehnliche
Show, die du veranstaltet hast.«
    »Oh. Das weißt du.«
    »Jeder kommerzielle Kanal hat immer wieder Bänder davon
abgespielt, bis sie von den Milizen des Kleinen Vogels abgedreht
worden sind.« Falke lachte. »Wei Lee, ich sollte dir sagen,
weshalb die Regierungstruppen nach deiner… Vorstellung nicht
zurückgeschossen haben. Sie waren alle verdrahtet, und der
Kleine Vogel hat ihre Stecker herausgezogen. Er hat

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