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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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Falke mehr oder weniger die ganze Geschichte
erzählt.
    Der Wagen fuhr im Zickzack durch den dichten Verkehr. Auf einmal
sah Lee das hohe Dach des Bahnhofs, geschwungen wie ein weißer
Hügel. Der Wagen wurde langsamer und schob sich durch eine
Menge, die dicht gedrängt um eine Barriere aus
Stolperdrahtrollen stand, welche über die Straße gelegt
worden waren.
    Die Menschen versuchten aus der Stadt zu fliehen. Sie trugen
Pakete, in Laken eingehüllt, Fernsehgeräte, Hühner in
Käfigen, Körbe mit Gemüse oder Obst, Fahrräder,
kleine Industriemotoren, Plastikpäckchen mit Biochips, Schirme,
sogar Möbel. Vier Männer trugen ein Doppelbett, einer an
jeder Ecke. Milizen ließen die Menschen einen nach dem anderen
durch, oder schoben sie beiseite, anscheinend willkürlich. Die
Luft war von lautem Lärm erfüllt, der gegen das Einwegglas
des Wagens prallte: Frauen, die ihre Kinder anschrien, Kinder, die
vor Furcht wimmerten, Männer, welche die Milizen
anbrüllten, und Milizen, die zurückbrüllten, Gewehre
in Gesichter stießen, auf Rücken droschen, um jemanden
durchzujagen, auf Brustkästen einhieben, um andere
zurückzutreiben. Eine alte Frau bettelte einen ganz jungen
Soldaten mit Sturmgewehr an, sie schrie und kreischte und klammerte
sich an seinen Arm, und sie ließ nicht einmal dann los, als er
sie ins Gesicht schlug.
    Inmitten der Menge kam der Wagen zum Stehen, und seine Luke
schnappte auf: Der Lärm verdoppelte, verdreifachte sich. Mary
Makepeace Doe packte Lees Ellbogen mit lähmender Kraft; er
mußte ihr durch die Luke folgen oder seinen Arm verlieren. Er
warf einen Blick zurück und sah den Colonel beim Versuch, Chen
Yao hinauszuheben, sah, wie das kleine Mädchen ihm zwischen die
Beine trat.
    Und dann zog und wirbelte Mary Makepeace Doe Lee herum, schob ihn
durch die Menge zum Tor, wobei sie ihr kurzes Gewehr hin- und
herschwang, um den Weg freizubekommen. Die Milizen winkten sie durch,
kaum, daß sie ihnen einen Blick zuwarfen, und dann waren sie in
der Bahnhofshalle.
    Sie war kaum weniger bevölkert oder lärmend als die
Straße draußen. Mary Makepeace Doe packte eine Handvoll
von Lees Haar, drehte seinen Kopf und sagte ihm ins Ohr: »Du
würdest nicht glauben, wieviel es kostet, ein sicheres Geleit
aus der Stadt heraus zu garantieren. Denke nicht einmal an
einen Fluchtversuch«, und schob ihn auf einen der Züge zu,
ehe er etwas sagen konnte.
    Menschen kletterten in staubige Wagen, sowohl durch Fenster als
auch durch Türen, kletterten hinauf auf die Dächer.
Fliegende Händler verkauften Nahrung, und Hände von
Fahrgästen streckten sich wie Seesterne aus Fenstern, um Scheine
gegen Klöße oder klebrige Reiskuchen einzutauschen. Die
Schreie der Händler tönten über dem Gebrüll der
Menge; darunter lagen die stentorhaften Atemgeräusche der
riesigen schwarzen, atombetriebenen Dampflokomotiven. Ihre
Dampfwolken stiegen als Säulen senkrecht hinauf in den
umschlossenen Raum des hohen Dachs.
    Mary Makepeace Doe drückte sich mit der Schulter zwischen
zwei Händler, benutzte den Lauf ihres Gewehrs, um einen Mann zu
vertreiben, der die Türschwelle benutzte, um aufs Dach zu
klettern, und zog Lee in den Waggon hinauf. Der Gang war dicht
gepackt mit Menschen, die zwischen ihren Habseligkeiten auf dem Boden
hockten, und die Abteile waren gefüllt mit blasierten Bourgeois.
Die Söldnerin wählte willkürlich ein Abteil, zog die
Ziehharmonikaabtrennung aus Plastik auf und sagte der
überraschten Bourgeois-Familie im Innern, sie sollten sehen,
daß sie weiterkämen, sie würde jetzt das Abteil
befehligen.
    Ihre Stimme: die war ebenso wie Miriams Stimme. Aber ihre
Umgangssprache war lupenrein.
    Lee fragte sich, wie sie für die Bourgeois wohl ausgesehen
haben mochte, diese große, muskulöse, videobeschattete
Frau in hautengem Schwarz, die einen Gefangenen mit blutenden
Händen hinter sich herzerrte. Aber sie folgten ihrem
Kommandoton, standen allesamt auf und suchten ihre Habseligkeiten
zusammen. Nur einer wollte Protest einlegen, ein schwerfälliger,
glatthäutiger Mann in einem teuren Jackett mit einem Dutzend
kleiner Maschinen, die an Ösen herabhingen. Die Söldnerin
setzte dem Mann ihr Gewehr ins Gesicht und sagte ihm, es wäre
eine Sicherheits-Angelegenheit. Er wich mit einem erstaunlich breiten
Lächeln zurück und verschwand unter den glotzenden
Kleinbauern, die sich draußen drängten.
    Lee setzte sich auf einen verstaubten Plüschsitz. Die
Söldnerin zog die Tür zu und schlug die Blenden

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