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Roter Zar

Roter Zar

Titel: Roter Zar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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haben. Er hatte die Hände dagegengepresst, wie um zu verhindern, dass die Flammen herausschossen. Noch immer konnte er sich an den Geruch erinnern. Zunächst hatte er versucht, die Luft anzuhalten, als könnte er damit den Geruch ausblenden. Aber das ging nicht. Er musste atmen, und so japste er irgendwann nach Luft, füllte die Lunge so tief wie möglich mit Sauerstoff, und der Geruch strömte in ihn hinein und vermischte sich mit seinem Blut wie Tintentropfen, die im Wasser langsam Schlieren zogen.
    Er sah nach oben. Der Schachteingang war eine von schwarzen Wänden umgebene, blassblaue Scheibe. Mehrere Minuten kämpfte er gegen den Drang an, wieder hinaufzuklettern. Panik überkam ihn, so dass er nur noch am Seil hing, bis er sich wieder einigermaßen gefasst hatte und sich schließlich zum Boden des Schachts abseilen konnte.
    Als Erstes sah er einen Teil der rostzerfressenen Leiter, die nach unten gestürzt war und nun an der Wand lehnte.
    Seine Füße versanken im jahrzehntealten Staub. Vermoderte Holzbalken, aus denen die Nägel ragten, lagen auf dem Boden.
    Pekkala ließ das Seil los und knetete die Hände. Dann richtete er die Taschenlampe in die Dunkelheit.
    Der Schacht selbst war geräumig, der Gang in die Mine aber verengte sich zu einem Stollen, der sich bereits nach wenigen Metern teilte. Verrostete Eisenschienen verloren sich in der Schwärze. Beide Stolleneingänge waren verschüttet. Pekkala wusste, dass die Mine aufgelassen wurde, obwohl sie noch nicht erschöpft war. Wahrscheinlich hatten die Bergleute die Stollen absichtlich zum Einsturz gebracht, um die Rohstoffe zu schützen, die sie hier abgebaut hatten. Die Loren standen abgestellt auf den Gleisen in einer Nische, ihre verbeulten Seitenwände waren mit einem weißlich gelben Puder überzogen. Mitleid überkam Pekkala für die Männer, die sich in diesen dunklen Stollen den Rücken krumm geschuftet hatten.
    Suchend ließ Pekkala den Schein der Taschenlampe über die Felswände streichen. Plötzlich kam ihm der Gedanke, dass sich sein Bruder vielleicht irrte. Vielleicht hatte der Verrückte alles nur erfunden, um Aufmerksamkeit zu erregen. Mit diesem Gedanken drehte er sich um, richtete den Lichtstrahl in die Schwärze und sah, dass er direkt neben den Leichen stand.
    Sie lagen vor ihm, wie sie hingefallen waren, ein grotesker Haufen aus Knochen, Kleidung, Schuhen und Haaren. Es waren mehrere Leichname. Wie viele, war auf den ersten Blick nicht zu sagen.
    Er war an der einen Wand heruntergestiegen. Die Leichen mussten an der anderen herabgefallen sein.
    Das Licht seiner Taschenlampe begann zu flackern. Alles in ihm schrie danach, sich auf und davon zu machen, aber er wusste, er konnte nicht weg. Noch nicht, auch wenn ihm die Angst beinahe den Atem raubte.
    Er zwang sich zur Ruhe, redete sich ein, dass er schon viele Leichen gesehen hatte, viele davon in wesentlich schlimmerem Zustand als diese hier. Aber jene waren ihm unbekannt gewesen, im Tod wie im Leben. Sollte dieses traurige Gliedmaßenknäuel wirklich aus den Überresten der Romanows bestehen, dann war dies auch für ihn eine neue Erfahrung.
    Ein von den Steinwänden widerhallendes Geräusch schreckte ihn auf. Er brauchte einen Augenblick, bis er die Stimme seines Bruders erkannte.
    »Irgendwas gefunden?«
    »Ja«, rief er hinauf.
    Eine lange Pause.
    »Und?«, hörte er seinen Bruder rufen.
    »Weiß noch nicht.«
    Stille.
    Pekkala wandte sich wieder den Leichen zu. Der Verwesungsprozess war in der Tiefe verlangsamt worden. Die Kleidung war zum größten Teil unbeschädigt. Es gab hier weder Fliegen oder andere Insekten, deren Maden die Leichname bis auf das Skelett abgenagt hätten, noch fanden sich Spuren von Ratten oder Mäusen, die sich über die Toten hergemacht hätten. Die Tiefe und der senkrechte Zugang der Miene hatten verhindert, dass sie bis hierher gelangten. Er wusste nicht, was hier abgebaut worden war, aber vielleicht hatte auch das konservierende Wirkung.
    Die Opfer schienen teilweise mumifiziert, ihre halb durchscheinende, sich über die Knochen spannende Haut hatte sich grünlich braun verfärbt und war mit Schimmel überzogen. Er hatte solche Leichen schon einmal gesehen – Menschen, die im Eis erfroren oder wie Torfleichen in Böden mit hohem Säuregehalt bestattet worden waren. Pekkala erinnerte sich an einen Fall, bei dem der Mörder sein Opfer in einen Fabrikschornstein gestopft hatte. Der regelrecht geräucherte Leichnam hatte nach einigen Jahren die Konsistenz

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