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Roter Zar

Roter Zar

Titel: Roter Zar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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gekommen ist, wird alles klargestellt werden.«
    »Das glauben Sie?«, fragte Pekkala.
    »Natürlich!«, erwiderte er leidenschaftlich. »Ich habe nur nicht gedacht, dass ich es jemals selbst zu Gesicht bekommen würde.«
    Pekkala zog den Holzapfel aus seiner Hosentasche, den er am Kontrollpunkt nicht zurückgegeben hatte, und warf ihn Kirow in den Schoß. »Hier, ein kleines Souvenir«, sagte er, »an das Dorf der zeitweiligen Lügen.«
    Anton boxte seinem Bruder gegen die Schulter. »Willkommen bei der Revolution«, sagte er.
    Aber Pekkala dachte nicht an die Revolution. Seine Gedanken schweiften zurück zu einer Zeit, in der es noch richtige Äpfel gegeben hatte.

Er traf den Zaren beim Holzhacken hinter der Orangerie an – so wurden die Gewächshäuser in Zarskoje Selo genannt.
    Nachdem er den Zaren in keinem der vielen Zimmer gefunden hatte und auf die Terrasse des Katharinenpalasts getreten war, hörte er in der Ferne das rhythmische Schlagen einer Axt.
    Nach dem Klang zu urteilen – die Schläge kamen in schneller Abfolge, ohne Zögern und ohne die dumpfe Wucht dessen, der mehr Kraft aufwandte, als nötig war –, wusste Pekkala, dass es der Zar sein musste.
    Der Zar liebte körperliche Betätigung, jedoch keineswegs um ihrer selbst willen. Er zog es vor, Dinge zu tun, die er für nützlich hielt, wie Schneeschaufeln oder das Entfernen der Binsen am Teichufer. Am liebsten aber versteckte er sich hinter der Orangerie und widmete sich der meditativen Tätigkeit des Holzhackens.
    Es war ein kalter Septembertag. Der erste Schnee war gefallen, der Boden war hart vom Frost. In ein paar Tagen würde er wahrscheinlich wieder auftauen, und Straßen und Wege würden sich in Schlamm verwandeln. Pekkala war aufgefallen, dass der erste Schneefall für die Bewohner von Petrograd eine ganz besondere Zeit war. Er erfüllte sie mit neuer Energie, die ihnen während der schwülen, dampfigen Sommermonate abhandengekommen war.
    Der Zar arbeitete mit nacktem Oberkörper. Zu seiner Linken lag ein sauber aufgeschichteter Stoß mit Stämmen, jeweils so lang wie das Bein eines Mannes. Rechts von ihm hatte er die geviertelten Scheite aufgestapelt. Dazwischen stand der Hackklotz.
    Pekkala bewunderte die Präzision, mit der der Zar seiner Arbeit nachging, wie er den Stamm auflegte, die Axt hob, deren Eschengriff durch seine Hände glitt, bis die Axt den höchsten Punkt erreicht hatte. Dann kam der kräftige Schlag, so schnell, dass er kaum zu sehen war, und der Stamm teilte sich wie eine Orangenscheibe.
    Pekkala wartete am Rand des freien Geländes, bis der Zar eine Pause einlegte und sich den Schweiß vom Gesicht wischte. Erst dann trat er vor und räusperte sich.
    Der Zar fuhr herum. Zunächst wirkte er verärgert wegen der Störung, bis er erkannte, wer vor ihm stand. Seine Miene wurde freundlicher. »Ah, Sie sind es, Pekkala.« Er ließ die Axt in den Hackklotz fallen, wo die Schneide im Holz steckenblieb. »Was führt Sie hierher?«
    »Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten, Exzellenz.«
    »Einen Gefallen?« Der Zar rieb gleichmäßig seine geröteten Handflächen aneinander. »Na, es ist langsam an der Zeit, dass Sie mich um einen Gefallen bitten. Ich habe schon befürchtet, Sie hätten für mich überhaupt keine Verwendung.«
    »Keine Verwendung für Sie, Exzellenz?« Er hatte nie darüber nachgedacht.
    Der Zar lächelte. »Was hätten Sie denn gern, mein Freund?«
    »Ein Boot.«
    Der Zar zog die Augenbrauen hoch. »Na, ich glaube, das lässt sich einrichten. Was für ein Boot? Meine Jacht, die Standard ? Oder etwas Größeres? Brauchen Sie etwas Militärisches?«
    »Ich brauche ein Ruderboot, Exzellenz.«
    »Ein Ruderboot.«
    »Ja.«
    »Nur ein ordinäres Ruderboot?« Der Zar konnte seine Enttäuschung nicht verbergen.
    »Und Ruder, Exzellenz.«
    »Lassen Sie mich raten«, sagte der Zar. »Sie hätten gern zwei davon.«
    Pekkala nickte.
    »Ist das alles, was Sie von mir wollen?«
    »Nein, Exzellenz«, erwiderte er. »Ich brauche auch einen See, auf dem ich das Boot zu Wasser lassen kann.«
    »Ach«, grummelte der Zar. »Jetzt kommen wir der Sache schon näher, Pekkala.«
    Zwei Tage darauf ruderte Pekkala kurz nach Sonnenuntergang auf den See am Südrand des Zarskoje Selo hinaus, der als der Große See bekannt war. Ilja saß mit verbundenen Augen im Boot.
    Der Abend war kühl, aber nicht kalt. In einem Monat wäre der See gefroren.
    »Wie lange muss ich das noch um die Augen haben?« Bevor er darauf antworten konnte, kam

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