Roter Zar
hiergelassen. Wie sind Sie so schnell auf mich gekommen?«
»Der Polizeichef hat mir von Ihnen erzählt.«
»Kropotkin?« Nekrasow beugte sich zur Seite und spuckte aus. »Der schuldet mir noch Geld.«
Pekkala hielt eine Handgranate hoch. »Würde es Ihnen was ausmachen, mir zu sagen, warum Sie letzte Nacht so eine durch unser Fenster geworfen haben?«
»Weil ihr mich anwidert.«
»Wer ist dieses ›ihr‹?«
»Die Tscheka. Die GPU . Die OGPU . Wie immer Sie sich nennen.«
»Ich gehöre nicht zu denen«, sagte Pekkala.
»Wer würde sich sonst in diesem Haus aufhalten? Außerdem habe ich einen Ihrer Männer gesehen, er war letzte Nacht in der Schänke. Ich habe ihn erkannt. Er hat zu den Tscheka-Dreckskerlen gehört, die die Romanows bewacht haben. Sie verdammter Kommissar, Sie könnten wenigstens so viel Anstand haben, mir die Wahrheit zu sagen.«
»Ich bin kein Kommissar. Ich bin Ermittler. Ich arbeite im Auftrag des Büros für besondere Operationen.«
Nekrasow stieß ein heiseres Lachen aus. »Wie haben die letzte Woche geheißen? Und wie werden sie sich nächste Woche nennen? Sind doch immer die Gleichen. Ihr ändert ständig die Wörter, bis sie überhaupt keine Bedeutung mehr haben.«
Pekkala nickte resigniert. »Ich habe unser kleines Schwätzchen genossen«, sagte er. Damit erhob er sich und machte Anstalten zu gehen.
»Wo wollen Sie hin?«, rief Nekrasow. »Sie können mich nicht einfach hier liegen lassen.«
»Es kommt bestimmt jemand vorbei. Früher oder später. Auch wenn es nicht so aussieht, als ob Sie viel Besuch haben. Und nach allem, was Kropotkin erzählt hat, werden die wenigsten, die kommen, Lust haben, Sie loszubinden.«
»Ist mir egal. Sollen die doch alle zur Hölle fahren, und Sie gleich mit dazu!«
»Sie und Kropotkin bedienen sich der gleichen Ausdrucksweise.«
»Kropotkin!« Wieder spuckte Nekrasow aus. »Bei dem sollten Sie mal ermitteln. Die Weißen haben ihn gut behandelt, als sie in die Stadt einmarschiert sind. Er ist unbehelligt geblieben, während alle anderen zusammengetrieben wurden. Und als die Roten zurückkamen, haben sie ihn zum Polizeichef ernannt. Er ist beiden Seiten entgegengekommen, und so einer hat, wenn Sie mich fragen, eine Menge Dreck am Stecken.«
Pekkala blinzelte in den dunstigen Himmel. »Sieht aus, als würde es ziemlich heiß werden.«
»Ist mir egal«, erwiderte Nekrasow.
»Ich denke nicht an Sie«, sagte Pekkala. »Sondern an die Handgranaten.« Er deutete mit einem Nicken zur Kiste.
»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte Nekrasow und starrte auf die Worte »Achtung! Sprengstoff«.
»Die Kiste stammt von 1916 . Die Granaten sind dreizehn Jahre alt. Ein Soldat wie Sie muss wissen, dass Dynamit sehr instabil wird, wenn es nicht richtig gelagert wird.«
»Ich habe sie richtig gelagert! Gleich neben meinem Bett!«
»Und davor?«
»Ich habe sie im Wald gefunden.« Unsicherheit schlich sich in seine Stimme.
Wieder sah Pekkala in den fahlblauen Himmel. »Gut, und auf Wiedersehen dann.« Er drehte sich um.
»Fahren Sie zur Hölle!«
»Sie sagen es!«
Pekkala marschierte los.
»Warten Sie!«, schrie Nekrasow. »Gut. Es tut mir leid, die Handgranate ins Haus geworfen zu haben.«
»Bekäme ich jedes Mal, wenn ich das höre, einen Rubel …« Pekkala hielt inne und drehte sich um. »Dann hätte ich genau einen Rubel.«
»Gut, was wollen Sie noch?«
»Sie könnten mir ein paar Fragen beantworten.«
»Fragen? Worüber?«
Pekkala ließ sich wieder auf der Kiste nieder. »Stimmt es, dass Sie zur Miliz gehört haben, die das Ipatjew-Haus bewacht hat?«
»Ja. Und ich bin der Einzige, der noch am Leben ist.«
»Was ist mit den anderen passiert?«
»Wir waren insgesamt zu zwölft. Als die Weißen angerückt sind, haben sie uns rausgeschickt, um eine Brücke am Stadtrand zu verteidigen. Wir haben einen Karren umgeworfen und sind dahinter in Deckung gegangen. Aber die Weißen haben sich davon nicht aufhalten lassen. Sie haben eine österreichische Gebirgshaubitze in Stellung gebracht und uns aus einer Entfernung von nicht mal hundert Metern unter Beschuss genommen. Aus dieser Entfernung hört man noch nicht mal den Schuss losgehen. Nach der ersten Granate war die Hälfte unserer Männer tot. Die zweite hat den Karren in der Mitte getroffen. An mehr erinnere ich mich nicht mehr. Als ich wieder zu mir gekommen bin, lag ich im Straßengraben, nackt bis auf meine Stiefel und einen Ärmel vom Hemd. Alles andere war mir durch die Druckwelle vom Leib
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