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Roter Zar

Roter Zar

Titel: Roter Zar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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gerissen worden. Ein Rad vom Karren hing am Baum auf der anderen Straßenseite. Und überall Leichen. Die haben gebrannt. Die Weißen haben mich für tot gehalten. Ich war der einzige Überlebende.«
    »Nekrasow, ich kann verstehen, warum Sie die Weißen hassen. Was ich nicht verstehe: Was haben Sie gegen die Tscheka? Die Tschekisten haben Sie bei der Bewachung der Romanows doch nur abgelöst.«
    »Nur?« Er versuchte sich loszuwinden, aber die Fesseln waren zu fest geschnürt. Er gab es auf. »Die Tscheka hat uns gedemütigt! Sie haben gesagt, wir hätten den Zaren bestohlen.«
    »Haben Sie gestohlen?«
    »Kleinkram!«, protestierte er. »Die Nonnen aus dem Kloster haben Lebensmittel gebracht, und der Zar hat ihnen dafür Bücher gegeben. Und wir haben nur ein paar Kartoffeln abgezweigt. Sie können die Nonnen fragen – wenn es noch welche gibt. Das Kloster wird nämlich geschlossen. Gott wird abgeschafft! Was halten Sie davon?«
    »Mehr haben Sie nicht genommen? Ein paar Kartoffeln?«
    »Ich weiß es nicht!« Nekrasows Gesicht war gerötet. »Manchmal ist vielleicht ein Füllfederhalter verschwunden, manchmal ein hübsches Kartenspiel. Kleinkram, sagte ich doch! Keiner musste hungrig ins Bett gehen. Man hat uns aufgetragen, sie wie Gefangene zu behandeln. Wir durften nicht mit ihnen reden, wir durften sie noch nicht mal ansehen, wenn es nicht unbedingt nötig war. Was zählte, war doch, dass die Romanows in Sicherheit waren. Keiner ist geflohen, keiner ist ins Haus eingedrungen. Wir sollten sie festhalten, bis der Zar vor Gericht gestellt würde. Und genau das haben wir getan.«
    »Und der Rest der Familie? Was sollte mit ihnen geschehen?«
    »Keine Ahnung. Es war nie die Rede davon, dass sie auch vor Gericht gestellt würden. Und schon gar nicht, dass sie umgebracht werden! Aber dann tauchen diese Tschekisten auf und machen einen Riesenwirbel um ein paar Kartoffeln. Wir werden rausgeworfen, und was geschieht? Kein Prozess! Stattdessen wird die ganze Familie umgebracht. Und dann, nachdem die Tschekisten unbewaffnete Frauen und Kinder umgepustet haben, hauen sie in Windeseile ab, und wir dürfen gegen dreißigtausend Weiße kämpfen, die Kanonen haben und« – er trat mit dem Fuß gegen die Kiste – »so viele Handgranaten, dass sie sie kistenweise im Wald zurücklassen. Und deshalb hasse ich sie. Weil wir unsere Arbeit gemacht haben, und sie nicht.«
    Pekkala ging zur Schubkarre und band Nekrasows Arme vom Rad los.
    Nekrasow blieb einfach liegen und massierte sich die Handgelenke. Die Seile hatten sich tief in die Haut geschnitten. »In einer Stadt wie dieser«, erklärte er, »kann das Leben eines Menschen auf einen einzigen Augenblick zusammenschrumpfen. Auf etwas, was man getan oder gesagt hat. Daran erinnert man sich dann. Und alles andere ist vergessen, und keiner denkt noch daran, dass wir unsere Stellung auf der Brücke gehalten haben, bis wir von einer Haubitze zerfetzt wurden. Alles, was den Leuten zu uns einfällt, sind ein paar gestohlene Kartoffeln.«
    Mit der Schuhspitze hob Pekkala den Deckel der Kiste an und legte die nicht detonierte Handgranate hinein. »Warum haben Sie sie nicht scharf macht?«, fragte er.
    »Ich war betrunken«, erwiderte Nekrasow.
    »Nein, das waren Sie nicht. Ich habe das Haus durchsucht, solange Sie bewusstlos waren. Sie haben keinen Tropfen Alkohol hier. Sie waren nicht betrunken, Nekrasow.« Pekkala streckte ihm die Hand hin, um ihn auf die Beine zu ziehen. »Es muss einen anderen Grund geben.«
    »Ich bin verrückt«, sagte Nekrasow.
    »Auch das glaube ich nicht.«
    Nekrasow seufzte. »Vielleicht gehöre ich eben nicht zu den Dreckskerlen, die andere im Schlaf abschlachten.«
    »Und den Zaren?«
    »Ich habe Menschen im Krieg getötet, aber das war etwas anderes. Der Zar, ein unbewaffneter Mann. Frauen. Kinder. Das Gleiche gilt für die Leute, die bei mir waren. Wenn die Romanows erschossen werden mussten, dann war es vielleicht ganz gut, dass die Tscheka uns abgelöst hat.«
    »Sie glauben also, die Tscheka hat den Zaren getötet?«
    Nekrasow zuckte mit den Schultern. »Wer sonst?«
     
    Als Pekkala zum Ipatjew-Haus zurückkehrte, saß Anton auf der Steinstufe des Hintereingangs, die stark abgetreten war von den zahllosen Schritten der Bewohner, die hier gelebt und gearbeitet hatten, bevor das Haus in der Zeit eingefroren wurde. Er aß aus einer Pfanne und schob sich mit dem Kochlöffel das Essen in den Mund.
    Kirow erschien mit hochgekrempelten Ärmeln in der Tür

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