Roter Zar
sie ihn kurzerhand stehen, und Pekkala war gezwungen, ihr hinterherzugehen, um sein Anliegen vorzutragen.
»Pekkala«, sagte sie schließlich, »was ist das überhaupt für ein Name?«
»Ich stamme aus Finnland. Aber das ist schon lange her.«
»Ich war noch nie in Finnland. Ihr Name kommt mir irgendwie bekannt vor.«
»Es gibt noch einen anderen Namen, unter dem ich besser bekannt war.«
Die Nonne, die mittlerweile ein kleines Zimmer betreten hatte und sich anschickte, Pekkala die Tür vor der Nase zuzuknallen, hielt plötzlich inne. »Dann haben Sie also Ihren Namen geändert. Ich habe gehört, das ist jetzt groß in Mode. Alle machen sie es dem Genossen Stalin nach.«
»Oder vielleicht auch Ihnen, Schwester Ania.«
»Und wie hat dieser andere Name gelautet?«, fragte sie.
Pekkala schlug sein Revers um. »Das Smaragdauge.«
Langsam öffnete sie ihm die Tür. Ihr verkniffener Gesichtsausdruck wurde milder. »Nun«, sagte sie, »es ist tröstlich zu wissen, dass die eigenen Gebete in diesen Zeiten hin und wieder doch erhört werden.«
Die beiden nahmen auf klapprigen Stühlen Platz. Ansonsten war das Zimmer leer, sah man von gerahmten Fotografien an den Wänden ab, auf denen allesamt Nonnen abgebildet waren. Die Bilder waren handkoloriert, die Wangen der Frauen waren rosafarbene Flecken, die Lippen unsauber nachgezeichnet. Nur das Blau der Tracht war sorgfältig ausgeführt. Zudem hatte der Künstler versucht, die Augen nachzubearbeiten, dennoch fehlte es den Porträts an jeder Lebendigkeit. Wenn, dann vermittelten die Dargestellten eher einen ängstlichen Eindruck.
»Das Kloster wird vorübergehend geschlossen«, erklärte Schwester Ania.
»Vorübergehend?«
»Unser Glauben und unsere Überzeugungen sind laut dem Exekutivkomitee des Gebietssowjets im Ural nicht mit den Ansichten der gegenwärtigen Regierung vereinbar.«
»Scheint so«, sagte Pekkala.
»Es überrascht mich nicht, dass sie uns das antun, Inspektor. Es erstaunt mich nur, dass sie so lange gewartet haben.« Schwester Ania hatte die Hände im Schoß gefaltet und streckte den Rücken durch. Sie gab sich selbstsicher, trotzdem schien sie sich unbehaglich zu fühlen. »Die anderen Schwestern sind alle schon weggeschickt. Ich bin die einzige, die noch hier ist. Ich soll mich um das leere Gebäude kümmern. Die meisten unserer Sachen sollen eingelagert werden. Wo, weiß ich nicht. Wie lange, weiß ich nicht. Und warum, das weiß ich auch nicht. Entweder wird das Kloster geschlossen, oder es wird nicht geschlossen. So aber hat man anscheinend vor, uns wie in Bernstein eingeschlossene Insekten zu konservieren. Aber ich glaube, Sie sind nicht gekommen, um in dieser ungerechten Sache zu ermitteln.«
»Leider ist dem nicht so.«
»Dann nehme ich an, hat es mit den Romanows zu tun.«
»Das stimmt.«
»Natürlich. Was sonst sollte Sie in diese abgeschiedene Gegend führen?«
»Um Ihnen die Wahrheit zu sagen, die Umstände zwingen mich dazu …«
»Das trifft auf uns alle zu«, unterbrach ihn Schwester Ania. »Ich denke, ich kann es Ihnen ersparen, dass Sie Ihre Verhörmethoden zur Anwendung bringen …«
»Schwester Ania, deswegen bin ich nicht …«
Sie hob die Hand und legte sie schnell wieder in den Schoß. »Ich habe lange gewartet, damit ich das, was ich weiß, jemandem erzählen kann, dem ich Vertrauen entgegenbringe. Wissen Sie, wir konnten uns immer nur ganz kurz unterhalten, aber er hat von Ihnen gesprochen. ›Wenn Pekkala nur hier wäre‹, hat er gesagt.«
Pekkala hatte das Gefühl, als würde ihm eine schwere Kette um den Hals gelegt. »Hat er wirklich geglaubt, ich hätte ihm helfen können … obwohl er unter Arrest stand und von bewaffneten Wachen umgeben war?«
»Ach, nein«, erwiderte Schwester Ania, »aber ich denke mir eben, solange Sie da waren, ist die Welt für ihn noch in Ordnung gewesen.«
»Ich hätte bleiben sollen«, murmelte Pekkala mehr zu sich als zur Nonne.
»Und warum sind Sie nicht geblieben?«
»Er hat mir befohlen zu gehen«, erwiderte Pekkala.
»Dann haben Sie sich nichts vorzuwerfen.« Sie wartete.
Pekkala nickte.
»Wie der Zar so von Ihnen gesprochen hat, ist mir der Gedanke gekommen, dass er mit dem Smaragdauge ein Bild seiner selbst erschaffen hat. Er hat jemanden erschaffen, der er selbst gern gewesen wäre, aber nie hatte sein können.«
»Und was wäre das für ein Mensch gewesen?«, fragte Pekkala.
»Ein Mensch, der nicht der Dinge bedurfte, ohne die er selbst nicht mehr leben
Weitere Kostenlose Bücher