Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Roter Zar

Roter Zar

Titel: Roter Zar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
Vom Netzwerk:
festgesteckt hatte.
    In den folgenden Wochen fragte er sich immer, wenn sein Kopf so klar war, dass er einen vernünftigen Gedanken fassen konnte, warum er das Abzeichen, das seine Identität verriet, nicht einfach weggeworfen hatte. Vielleicht aus purer Eitelkeit. Vielleicht hatte er sich eingebildet, er würde eines Tages zurückkehren und seinen Dienst wiederaufnehmen. Vielleicht war dieses Abzeichen aber auch so sehr ein Teil von ihm geworden, dass er sich jetzt davon genauso wenig trennen konnte wie von seiner Leber oder seinen Nieren oder seinem Herzen. Darüber hinaus hatte er noch eine Erklärung: Vielleicht hatte er insgeheim gar nicht fliehen wollen. Vielleicht wusste er, dass sein Schicksal so eng mit dem des Zaren verknüpft war, dass selbst seine Freiheit dieses Band nicht lösen konnte.
    Sobald das Personal im Butyrka-Gefängnis wusste, dass sich das Smaragdauge in Gewahrsam befand, wurde Pekkala von den anderen Gefangenen getrennt und in den sogenannten Kamin gebracht.
    Sie führten ihn zur Zelle und stießen ihn hinein. Pekkala taumelte die Stufe hinab in den Raum, der nicht größer war als ein kleiner Schrank. Die Tür wurde verriegelt. Er versuchte aufzustehen, aber die Decke war zu niedrig. Er befand sich in einem schwarzen Gewölbe, dessen höchster Punkt genau über der Tür lag. Ansonsten war es so eng, dass er sich nicht hinlegen konnte. In einem Maschendrahtkäfig hing eine grelle Glühbirne so nah an seinem Gesicht, dass er ihre Wärme spürte.
    Ein klaustrophobisches Gefühl überkam ihn, Panik stieg in ihm auf. Er atmete stoßweise durch den Mund und musste würgen.
    Schon nach ein paar Minuten hielt er es nicht mehr aus. Er trommelte gegen die Tür und bat, freigelassen zu werden.
    Der Riegel vor dem Guckloch wurde zurückgeschoben. »Der Gefangene hat sich ruhig zu verhalten«, war eine Stimme zu hören.
    »Bitte«, sagte Pekkala. »Ich bekomme keine Luft.«
    Das Guckloch wurde zugeknallt.
    Es dauerte nicht lang, bis er wegen der kauernden Haltung Krämpfe im Rücken bekam. Er legte sich an die Wand und presste die Knie gegen die Tür, bekam dann aber Krämpfe in den Knien. Er fand keine Stellung, die auch nur halbwegs erträglich gewesen wäre. Immer wieder litt er unter Platzangst und Atemnot. Die Glühbirne brannte sich in seinen Hinterkopf, Schweiß lief ihm übers Gesicht.
    Schließlich fand er sich damit ab, dass er sterben würde. Zuvor aber, wusste er, würde man ihn foltern. Ein seltsames Gefühl breitete sich in ihm aus, ein Gefühl von Leichtigkeit, als hätte sein Geist bereits mit der langsamen Ablösung von seinem Körper begonnen.
    Er war bereit.

D ie drei Männer verteilten sich in der Stadt.
    Kirow übernahm die Häuser an der Hauptstraße. Er vergewisserte sich, dass sich in seinem Notizblock noch genügend freie Seiten befanden, er spitzte zwei Bleistifte, er kämmte sich die Haare und putzte sich sogar die Zähne.
    Anton trat auf ihn zu, als er sich mit Hilfe des Seitenspiegels am Emka rasierte.
    »Und was nehmen Sie sich vor?«, fragte Kirow ihn.
    »Die Schänke«, erwiderte Anton. »Warum soll ich die Leute aus ihrer Häusern klingeln, wenn sie auch von ganz allein zu mir kommen?«
    Pekkala hingegen wollte Nekrasows Geschichte nachgehen, laut der die Miliz von den Lebensmittellieferungen der Swerdlowsker Nonnen gestohlen hatte. Hatten die Nonnen die Romanows während ihrer Gefangenschaft wirklich zu Gesicht bekommen? Vielleicht hatten sie tatsächlich mit der Familie gesprochen. Wenn, dann wären sie neben der Miliz und der Tscheka die Einzigen gewesen, die mit ihnen Kontakt gehabt hatten.
    Auf dem Weg zum Kloster am Stadtrand wollte er so viele Leute wie möglich befragen. Allerdings musste er erst an mehreren Häusern vergeblich anklopfen, bis ihm jemand aufmachte. Die Bewohner waren zwar zu Hause, weigerten sich aber, ihm die Tür zu öffnen. Unter anderem sah er ein altes Ehepaar, das in seinen Sesseln im abgedunkelten Raum saß und sich zuzwinkerte, während er so laut gegen die Tür pochte, dass es durchs ganze Haus dröhnte. Ihre runzeligen Finger krallten sich wie blasse Ranken um die Armlehnen der Sessel.
    Schließlich wurde ihm eine Tür geöffnet.
    Ein drahtiger Mann mit pockennarbigem Gesicht und zerzaustem weißen Bart musterte ihn und fragte, ob er Blut kaufen wolle.
    »Blut?«, fragte Pekkala.
    »Vom Schwein«, antwortete der Mann.
    Irgendwo hinter dem Haus ertönte ein gurgelndes, abwechselnd leiser und lauter werdendes Quieken.
    »Man muss ihnen

Weitere Kostenlose Bücher