Roter Zar
Flüssigkeit auf.
»Er ist nicht deswegen hier«, sagte der Mann.
»Und ich schlepp extra den Eimer vor«, schimpfte die Frau vor sich hin.
»Dann darfst du ihn jetzt wieder nach hinten schleppen«, sagte der Mann.
»Sie wollen bestimmt nichts?«, fragte die Frau. »Es ist sehr nahrhaft. Schauen Sie sich meine Tochter an. Ein Ausbund an Gesundheit. Sie trinkt es auch.«
Das Kind, das sich mit einer Hand an das Kleid der Mutter klammerte, lächelte Pekkala an.
»Nein, danke«, sagte Pekkala. Er sah zu dem im Kübel hin und her schwappenden Blut.
»Er ist gekommen, um sich meine Geschichte anzuhören«, sagte der Mann. »Von der Prinzessin im Zug.«
»Das ist noch lang nicht alles«, sagte die Frau. »Hast du ihm von dem Mädchen erzählt, das man im Wald gefunden hat?«
»Nein«, erwiderte der Mann, sichtlich verärgert, dass sich seine Frau in den Vordergrund drängte. »Weil ich es nicht mit eigenen Augen gesehen habe.«
Die Frau ging darauf nicht weiter ein, sondern legte nur das Messer quer über den Kübel. An der Klinge klebte schwarz geronnenes Blut. »Drüben bei Tscheljabinsk hat man ein Mädchen gefunden. Sie ist durch den Wald gestreift und war verletzt. Sie hatte einen Verband um den Kopf. So einen.« Mit ihren Fingern fuhr sie sich über die mausgrauen Haare.
»Wie alt war sie? Und wie hat sie ausgesehen?«
»Na ja, sie war kein Kind mehr. Aber auch noch nicht erwachsen. Mit braunen Haaren. Die Waldarbeiter haben sie angesprochen, aber sie ist weggelaufen. Und dann ist sie bei irgendwelchen Leuten untergekommen, aber die haben sie der Tscheka übergeben. Danach hat sie keiner mehr gesehen. Sie war eine der mittleren Töchter. Tatjana. Vielleicht auch Maria. Sie hat vor den Roten fliehen können, und dann ist sie von ihnen wieder geschnappt worden. Fast wäre sie entkommen. Und frei gewesen. Wie traurig, wie unendlich traurig.«
Ihren Blick hatte Pekkala schon so oft gesehen. Ihre Augen leuchteten, als sie von der Tragödie erzählte, und ihre Wangen röteten sich vor beinahe wollüstigem Vergnügen, als sie »wie unendlich traurig« sagte.
»Wie haben Sie davon erfahren?«
»Von einer Frau aus Tscheljabinsk, die bei uns immer eingekauft hat. Aber dann hat sie sich in einen Offizier der Weißen verliebt, und als die Weißen abgezogen sind, ist sie mit ihm fort.« Erneut deutete die Frau auf den Kübel. »Sie wollen bestimmt nichts?«
Als Pekkala ging, blickte er sich noch einmal um.
Die Eltern waren fort, nur das Mädchen in seinem gelben Kleid stand noch auf der Schwelle.
Pekkala winkte ihm zu.
Das Kind winkte zurück, dann kicherte es und rannte hinter das Haus.
Das Kloster, ein karger weißer Bau, lag auf einem steilen Hügel in den Außenbezirken der Stadt. Die Pappeln an der Straße raschelten in einem Windhauch, den Pekkala nicht spürte.
Beim Aufstieg zog er seinen schweren schwarzen Mantel aus und legte ihn sich über den Arm. Schweiß lief ihm in die Augen, den er sich mit dem Hemdsärmel wegwischte. Sein Herz pochte.
Um das Kloster verlief ein hohes schwarzes Eisengitter. Im Innenhof heizte sich der sandfarbene Schotter in der Nachmittagssonne auf. Vor dem Eingang luden Männer Kisten auf einen Lastwagen.
Das Tor stand offen, und Pekkala ging einfach hinein. Mit knirschenden Schritten überquerte er den Innenhof, stieg die Treppe hinauf und musste zur Seite treten, als ihm im Eingang zwei Männer mit einem Spinett entgegenkamen.
Drinnen im Flur standen weitere Kisten.
Es sah aus, als würde das gesamte Gebäude geräumt werden.
War er zu spät gekommen? Pekkala blieb stehen.
»Sind Sie wegen des Spinetts hier?«, hörte er eine Frauenstimme.
Er blickte sich um. Niemand war zu sehen.
Die Frau räusperte sich.
Dann erst sah er nach oben. Auf der Balustrade über dem Flur stand eine Nonne in blau-weißem Habit und einer gestärkten weißen Haube.
»Sie kommen zu spät«, sagte sie. »Das Spinett ist schon fort.« Aus ihrem Mund klang es, als wäre das Instrument von allein gegangen.
»Nein«, sagte Pekkala. »Ich bin nicht wegen des Spinetts hier.«
»So.« Die Nonne kam die Treppe herab. »Was wollen Sie dann stehlen?«
Pekkala versicherte ihr, dass er nicht gekommen sei, um das Kloster zu berauben. Die Nonne begutachtete die Kisten und pochte mit den Knöcheln dagegen, als wollte sie die Stabilität des Holzes prüfen. Zunächst bekam er aus ihr nicht mehr heraus als ihren Namen – Schwester Ania –, und selbst den gab sie nur widerwillig preis. Dann ließ
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