Roter Zar
konnte.«
»Ja«, stimmte Pekkala zu. »Ich glaube, da ist etwas dran.«
Schwester Ania seufzte schwer. »Wie auch immer, das alles ist nicht mehr wichtig – außer vielleicht für uns, die wir noch an unserem Glauben festhalten. Er ist nicht mehr unter uns, und Sie werden in der Stadt viele Geschichten hören über die Nacht, in der die Romanows verschwunden sind.«
»Einige habe ich schon gehört.«
»Fast jeder Einwohner in Swerdlowsk hat eine eigene Version davon. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie viel davon der Wahrheit entspricht, mit Bestimmtheit aber weiß ich, dass die Romanows allen Grund zu der Annahme hatten, dass sie gerettet würden.«
»Gerettet? Sie meinen, von den Weißen?«
»Nein. Der Zar wusste, falls die Weißen in die Stadt einrückten, würden die Roten ihn und seine Familie hinrichten. Die Rettung musste also vorher erfolgen. Ein Plan war ausgearbeitet worden.«
»Darf ich fragen, woher Sie das wissen?«
»Ich habe die betreffenden Meldungen übermittelt.«
»Sie haben sie geschrieben?«
»O nein. Ich habe sie nur dem Zaren gebracht.«
»Und von wem kamen sie?«
»Ein ehemaliger Offizier der zaristischen Armee fragte mich, ob ich den Romanows eine Nachricht zustellen könne. Das war in den ersten Tagen ihrer Gefangenschaft im Ipatjew-Haus, als sie noch von der Miliz bewacht wurden. Der Offizier sagte mir, ein Trupp loyaler Soldaten stünde bereit, das Haus zu stürmen und die Familie in Sicherheit zu bringen.«
»Und Sie haben sich darauf eingelassen?«
Sie nickte vehement. »Ja.«
»Dann darf ich annehmen, dass Sie ebenfalls loyal zum Zaren standen.«
»Sagen wir mal, der Räumungsbescheid des Gebietssowjets kam nicht unbedingt überraschend. Ich habe mich dazu bereit erklärt, die Nachrichten persönlich zu übermitteln, damit im Kloster niemand davon erfuhr.«
»Wie wurden sie übermittelt?«
»Zusammengerollt in den Korken, mit denen die Milchflaschen verschlossen waren.«
»Und wie hat der Zar darauf geantwortet?«, fragte Pekkala. »Waren seine Nachrichten auch in den Korken versteckt?«
»Nein, wenn man die Nachrichten herausgeholt hat, ist dabei unweigerlich der Korken kaputtgegangen. Der Zar hat eine eigene Methode ersonnen. Er war sehr einfallsreich. Er hat dazu Bücher benutzt. Sie wurden mir als Geschenk überreicht, und ich habe sie an den Offizier weitergegeben.«
»Und in diesen Büchern haben sich Botschaften befunden?«
»Die die Milizionäre nicht entdecken konnten. Noch nicht einmal ich habe damals gewusst, wie sie transportiert wurden. Es waren keine Zettel zwischen die Seiten gelegt, es war nichts an den Rand gekritzelt. Erst nachdem die Romanows verschwunden waren, hat mir der Offizier erklärt, wie die Nachrichten versteckt waren.«
»Und wie wurde es gemacht?«
»Der Zar hat mit einer Nadel«, sagte sie und vollführte die entsprechende Handbewegung, »winzige Löcher unter bestimmte Buchstaben gestochen, die dann, hintereinander gelesen, die Botschaft ergaben. Er hat immer auf Seite zehn begonnen.«
»Und hat der Offizier mit Ihnen über diese Botschaften gesprochen?«
»O ja. Er hat mir sogar angeboten, mich mitzunehmen, wenn die Romanows gerettet würden. Aber dazu ist es nicht mehr gekommen.«
»Warum nicht?«
»Zuerst gab der Zar sein Einverständnis zur Rettungsaktion, aber nur unter der Bedingung, dass die ganze Familie weggebracht werden konnte. Alexej war krank. Er fürchtete, der Junge könnte zu schwach sein für eine längere Reise. Und er wollte kein Blutvergießen, noch nicht einmal unter der Miliz.«
»Warum hat er dann seine Meinung geändert?«
»Kurz nachdem die örtliche Miliz von der Tscheka-Abordnung abgelöst wurde, hat der Zar eine Nachricht geschickt, in der er dem Offizier befohlen hat, von der Befreiung abzusehen.«
»Warum das?«, fragte Pekkala. »Es war doch die einzige Möglichkeit, um freizukommen.«
»Das weiß ich nicht«, sagte Schwester Ania. »Der Offizier sagte, es sei zu gefährlich, wenn ich es erfahre, er könne dann nicht mehr für meine Sicherheit garantieren.«
»Haben Sie diesen Offizier später noch mal gesehen?«
»O ja«, antwortete sie. »Wir sind immer noch befreundet.«
»Schwester Ania«, sagte Pekkala, »es ist äußerst wichtig, dass ich mit diesem Mann rede, egal, wer er ist.«
Sie musterte ihn eindringlich. »Wäre der Offizier jetzt hier bei uns, würde er sagen, dass ich sowieso schon viel zu viel verraten habe.«
»Ich bin nicht hier, um den Mann zu finden, der den Zaren
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