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Roter Zar

Roter Zar

Titel: Roter Zar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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die Kehle durchschneiden«, erklärte der Mann. »Sie müssen ausbluten, sonst schmeckt das Fleisch nicht. Das dauert manchmal. Das Blut fang ich in Eimern auf. Ich dachte, Sie wollten was.«
    Pekkala erklärte, warum er hier war.
    Der Mann schien nicht überrascht. »Wusste doch, dass irgendwann mal nach der Wahrheit gesucht wird.«
    »Was ist die Wahrheit?«
    »Die Romanows sind nicht so umgebracht worden, wie es in der Zeitung steht. Noch am Abend nach der angeblichen Hinrichtung hab ich jemanden aus der Familie gesehen.«
    »Wen haben Sie gesehen?«, fragte Pekkala. Sein Brustkorb zog sich zusammen. Er wagte kaum zu hoffen, eine Spur zu Alexej gefunden zu haben.
    »Eine der Töchter«, erwiderte der Alte.
    Für einen Moment verließ Pekkala der Mut. Wie Majakowski war auch dieser Mann von etwas überzeugt, was ganz offensichtlich nicht stimmen konnte. Pekkala verstand nicht, warum.
    »Sie glauben mir nicht, was?«, fragte der Mann.
    »Ich glaube nicht, dass Sie lügen«, sagte Pekkala.
    »Schon gut«, sagte der Mann. »Die Weißen haben mir auch nicht geglaubt. Nachdem die Roten aus der Stadt vertrieben waren, ist ein Offizier gekommen, dem hab ich erzählt, was ich gesehen habe, und er hat mir ins Gesicht gelacht und gesagt, ich träume. Er hat mir eingeschärft, niemandem davon zu erzählen, sonst würde ich Schwierigkeiten bekommen, gehörige Schwierigkeiten. Und nach dieser Drohung war ich noch mehr davon überzeugt, dass ich eine von den Töchtern gesehen habe.«
    »Wo haben Sie sie gesehen?«, fragte Pekkala.
    »Auf dem Güterbahnhof in Perm. Der nächsten Station nach Swerdlowsk. Auf der Strecke der Transsibirischen Eisenbahn. Ich war da Verschieber.«
    »Verschieber?«
    Der Mann stieß die beiden Fäuste gegeneinander. »Ein Verschieber kuppelt die richtigen Waggons an die richtige Lokomotive. Sonst gehen die Güter aus Moskau vielleicht wieder zurück statt weiter nach Wladiwostok. In der Nacht, als die Romanows verschwunden sind, hab ich einen Zug in den Osten zusammengestellt. Die Weißen waren noch nicht da. Wir wollten den Bahnhof leer geräumt haben, bevor sie anrücken. Ständig sind Züge durchgekommen, alle außerhalb des regulären Fahrplans. Nächtliche Züge sind meistens Güterzüge, aber der hier hatte einen Personenwagen dabei – einen einzigen. Die Fenster waren mit schwarzen Vorhängen verhängt, und an jedem Waggonende war eine Wache mit Gewehr und aufgepflanztem Bajonett postiert. Da habe ich sie gesehen.«
    »Sie sind in den Wagen gegangen?«
    »Sie machen wohl Witze. Diese Scheißkerle mit den langen Gewehren hätten mich aufgespießt.«
    »Aber Sie sagten, die Fenster seien verhängt gewesen. Wie haben Sie sie dann gesehen?«
    »Ich bin auf dem Gleis neben dem Waggon hergegangen und hab die Räder überprüft, wie angewiesen, und einer der Wachleute springt runter auf den Schotter. Er richtet sein Gewehr auf mich und fragt, was ich da treibe. Also sage ich ihm, dass ich Verschieber bin, und er brüllt mich an, ich soll mich verziehen. Hat ganz offensichtlich nicht gewusst, was ein Verschieber macht, also sag ich ihm: ›Gut, ich verzieh mich, und wenn die Lokomotive losfährt, bleibt ihr eben hier. Wenn ihr also mit dem übrigen Zug wegwollt, dann lass mich meine Arbeit machen.‹«
    »Und das hat er dann getan?«
    »Er ist wieder hoch, und dann höre ich, wie er jemanden anschreit. Jemand hat ihn wohl gefragt, was das alles soll. Sie sehen also, wer immer in dem Waggon war, der sollte nicht rauskommen, und von draußen sollte keiner reinkommen. Aber als ich zurückgehe, um den Waggon anzukoppeln, wird einer der Vorhänge zurückgezogen« – er deutete die Bewegung an – »und eine Frau sieht zu mir heraus.«
    »Und Sie haben sie erkannt?«
    »Natürlich! Es war Olga, die älteste Tochter. Mit dem gleichen finsteren Blick wie auf den Fotos. Sie sieht mich direkt an, und gleich darauf wird der Vorhang wieder geschlossen.«
    »Und Sie sind sich sicher, dass es Olga war?«, fragte Pekkala.
    »Ja.« Er nickte. »Kein Zweifel.«
    Eine Frau schlurfte um die Hausecke, in der einen Hand hielt sie ein langes Messer, in der anderen einen Kübel mit Blut.
    Hinter ihr folgte ein barfüßiges kleines Mädchen, das in seinem löwenzahngelben Kleid, mit seinem winzigen Kinn, den großen neugierigen Augen und einer Nase, die nicht größer war als der Knöchel von Pekkalas kleinem Finger, mehr wie eine Puppe aussah. Die Frau stellte den Kübel ab. »Hier«, sagte sie. Dampf stieg von der roten

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